Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Medicus von Saragossa

Titel: Der Medicus von Saragossa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
Vom Netzwerk:
an das neue Bett gewöhnt hatte. Auch fühlte er sich als Medicus nicht wirklich allein. Wenn er einen schwierigen Patienten behandelte, hörte er in seinem Kopf eine ganze Reihe von Stimmen, Avicennas und Galens und Borgognonis. Am lautesten von allen aber war Nuños Stimme, die ihm zu sagen schien: »Denk an das, was die Großen schrieben, und an die Dinge, die ich dir beigebracht habe. Und dann betrachte den Patienten mit deinen eigenen Augen, und rieche den Patienten mit deiner Nase, und taste ihn mit deinen Händen ab, und dann benutze deinen Verstand, um zu entscheiden, was zu tun ist.«
    Er und Reyna gewöhnten sich ein stilles, wenn auch etwas verlegenes Miteinander an. Wenn Jona zu Hause war, las er ein Buch aus der kleinen medizinischen Bibliothek oder arbeitete an seiner Übersetzung, und sie achtete darauf, ihn nicht zu stören, während sie ihre häuslichen Pflichten erledigte.
    Eines Abends, einige Monate nach Nuños Tod, Jona hatte es sich eben in seinem Sessel vor dem Feuer bequem gemacht, kam Reyna zu ihm und goß ihm Wein nach. »Gibt es irgendwas Besonderes, das du morgen zu Abend essen willst?« fragte sie.
    Jona spürte die Wärme des Weins und die Wärme des Feuers. Er sah sie an, wie sie so dastand, eine gute Dienerin, als hätte sie ihn nicht einst als heimatlosen Streuner gesehen und als wäre er schon immer der Herr des Hauses gewesen.
    »Es würde mich freuen, wenn du mir morgen geschmortes Geflügel machst.«
    Sie sahen einander an. Es war ihm unmöglich zu erraten, was sie dachte. Aber sie senkte den Kopf, und in dieser Nacht kam sie zum ersten Mal in seine Kammer.
    Sie war viel älter als er, vielleicht sogar um zwanzig Jahre. Grau durchzog bereits ihre schwarzen Haare, aber ihr Körper war noch straff von lebenslanger schwerer Arbeit, die sie jedoch nicht vor der Zeit zur alten Frau gemacht hatte, und sie war mehr als bereit, sein Bett mit ihm zu teilen. Hin und wieder ließ sie eine Bemerkung fallen, die Jona Grund für die Vermutung gab, daß sie als junge Frau auch mit Nuños Meister, Gabriel Montesa, das Bett geteilt hatte. Doch war es nicht so, daß sie quasi zum Anwesen gehörte. Er erkannte, daß sie sich einfach lebendiger fühlte, wenn sie den Körper eines Mannes spürte, und wie es der Zufall wollte, hatte sie immer alleine mit drei Männern gearbeitet, die sie im Laufe der Zeit alle liebgewonnen hatte.
    Doch am Morgen danach war sie ihm immer eine so anständige und ehrerbietige Haushälterin, wie sie es für Nuño gewesen war.
    So kam es, daß er, dank der Arbeit, die ihm sehr am Herzen lag, dank ihres guten Essens und der Entspannung, die sie einander in seinem hölzernen Bett schenkten, schon bald sehr zufrieden mit seinem Leben war.
    Wenn er über sein Land spazierte, ärgerte es ihn, daß der Boden nicht ordentlich genutzt wurde, aber er hatte nicht vor, ihn bearbeiten zu lassen, und das hatte den gleichen Grund, warum auch seine früheren ärztlichen Besitzer es nicht getan hatten: Es ging einfach nicht, daß peónes auf dem Anwesen arbeiteten und so möglicherweise mitbekamen, daß die Scheune neben dem Haus nicht nur ein Behandlungszimmer und einen Operationstisch enthielt, sondern hin und wieder auch für anatomische Studien benutzt wurde, die viele als Hexerei bezeichnen würden.
    Als der Frühling kam, bestellte er deshalb nur so viel des Bodens, wie er mit eigenen Händen und in der verfügbaren Zeit bearbeiten konnte. Er stellte drei Bienenstöcke auf, um Honig zu haben, und stutzte ein paar Oliven- und Obstbäume, die er mit Pferdemist düngte. Später im Jahr schenkte ihm der Garten die erste gute Ernte für Küche und Tisch. Es war ein Leben, das Jona gestattete, den Wechsel der Jahreszeiten zu genießen.
    Er versagte sich alle gefährlichen äußerlichen Zeichen jüdischen Lebens, aber am Sabbat zündete er in seiner Kammer immer zwei Kerzen an und flüsterte das Gebet: »Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der uns geheiligt durch seine Gebote und uns geboten hat, Lichter anzuzünden für den Sabbat.«
    Die Medizin füllte sein Leben reich aus, fast so, als wäre sie eine Religion, die er öffentlich ausüben konnte, aber dennoch bemühte er sich, sein inneres Judentum lebendig zu erhalten. Das Übersetzen hatte ihm viel von seiner früheren Leichtigkeit im Umgang mit dem Hebräischen zurückgegeben, aber er hatte die Fähigkeit verloren, in der Tradition seines Vaters zu beten. Er erinnerte sich nur noch an Bruchstücke der Gebete. Sogar

Weitere Kostenlose Bücher