Der Medicus von Saragossa
am Kopf getroffen von einem Stein, der im Zorn nach ihm geworfen wurde, und die gefährliche Verletzung führte zu einer schrecklichen Krankheit, die ihn hinwegraffte.« Er sah zu Jona hinüber. »Der Arzt konnte Guillermo, meinen einzigen Sohn, nicht retten.«
»Wer warf den Stein?«
»Er.« Er streckte den Arm aus und deutete auf den Angeklagten. »Oliverio Pita.« Der Junge wurde sehr blaß und starrte auf den Tisch.
»Woher wißt Ihr das?«
»Der Vorfall wurde beobachtet von einem gemeinsamen Nachbarn, Señor Rodrigo Zurita.«
»Ist Señor Zurita anwesend?« fragte der Kronanwalt, und als ein dünner, weißbärtiger Mann die Hand hob, wandte er sich ihm zu.
»Wie kam es, daß Ihr beobachten konntet, wie die beiden Jungen sich mit Steinen bewarfen?«
»Ich saß vor meinem Haus, um mich in der Sonne zu wärmen. Ich habe alles gesehen.«
»Was habt Ihr gesehen?«
»Ich habe gesehen, wie Jose Pitas Sohn, dieser Bursche da, den Stein warf, der den armen Guillermo, den guten Jungen, traf.«
»Habt Ihr gesehen, wo er ihn traf?«
»Ja. Er traf ihn am Kopf«, sagte er und deutete zwischen den Augen auf seine Stirn. »Ich habe es deutlich gesehen. Er wurde so grausam getroffen, daß ich Blut und Eiter aus der Wunde kommen sah.«
»Vielen Dank, Señor.«
Señor Porreno wandte sich jetzt an Jona. »Señor Callicó, Ihr habt den Jungen nach dem Vorfall behandelt?«
»Ja, Señor.«
»Und was habt Ihr festgestellt?«
»Er konnte von dem Stein nicht voll getroffen worden sein«, erwiderte Jona mit einigem Unbehagen. »Er hatte ihn eher im Bereich der rechten Schläfe gestreift, knapp über und vor dem rechten Ohr.«
»Nicht hier?« Der Kronanwalt zeigte auf die Mitte von Jonas Stirn.
»Nein, Señor. Hier«, sagte Jona und zeigte auf seine Schläfe.
»Konntet Ihr an der Wunde sonst noch etwas feststellen?«
»Es war eine geringfügige Wunde. Eher ein Kratzer. Ich wusch ihm das getrocknete Blut vom Gesicht und von dem Kratzer. Solche Schürfwunden und Kratzer heilen für gewöhnlich sehr gut, wenn man sie mit Wein auswäscht, deshalb habe ich ein Tuch mit Wein getränkt und die Wunde ausgewischt, sie ansonsten aber in Ruhe gelassen. Zu der Zeit«, fuhr Jona fort, »drängte sich mir der Gedanke auf, daß Guillermo großes Glück gehabt hatte, denn wenn der Stein ihn ein Stückchen weiter links getroffen hätte, wäre seine Verletzung viel ernster gewesen.«
»Ist es keine ernste Verletzung, wenn Blut und Eiter aus der Wunde treten?«
Jona seufzte insgeheim, doch die Wahrheit konnte er nicht umgehen.
»Es gab keinen Eiter.« Er bemerkte Señor Zuritas wütende Blicke. »Eiter ist nicht etwas, das sich immer unter der Haut des Menschen befindet und hervortritt, sobald die Haut verletzt wird. Eiter tritt oft nach einer Verletzung auf, wenn wegen eines Risses in der Haut eine offene Wunde unter den Einfluß fauliger Dämpfe in der Luft kommt, etwa des Gestanks von Kot oder verfaulendem Fleisch. Als ich die Wunde das erste Mal untersuchte, war kein Eiter zu sehen, und es gab auch keine Absonderungen irgendwelcher Art, als ich Guillermo drei Wochen später noch einmal sah. Zu der Zeit hatte sich bereits ein Schorf auf dem Kratzer gebildet. Die Wunde fühlte sich kühl an und sah nicht entzündet aus. Ich betrachtete ihn als fast geheilt.«
»Aber zwei Wochen später war er tot«, bemerkte der Kronanwalt.
»Ja. Aber nicht wegen der leichten Verletzung am Kopf.«
»Woran starb er dann, Señor?«
»An einem abgehackten Husten und Schleim in der Lunge, was schließlich zu seinem tödlichen Fieber führte.«
»Und was verursachte diese Krankheit?«
»Das weiß ich nicht, Señor. Es wäre mir lieber, wenn ich es wüßte. Ein Arzt sieht eine solche Krankheit mit entmutigender Regelmäßigkeit, und einige der Betroffenen sterben.«
»Seid Ihr sicher, daß der von Oliverio Pita geworfene Stein nicht die Ursache für den Tod von Guillermo de Roda war?«
»Dessen bin ich mir sicher.«
»Seid Ihr bereit, Euren Eid darauf zu leisten, Señor Medicus?«
»Das bin ich.«
Als die stadteigene Bibel gebracht wurde, legte Jona seine Hand darauf und schwor, daß seine Aussage der Wahrheit entspreche.
Der Kronanwalt nickte und befahl dem Angeklagten aufzustehen. Der Richter warnte den Jungen, daß er schnelle und schwere Strafe zu erwarten habe, falls eine seiner Taten ihn wieder vor die Schranken dieses Gerichts bringen sollte. Dann klopfte er ein letztes Mal mit seinem schweren Ring auf den Tisch und erklärte Oliverio
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