Der Medicus von Saragossa
grauen Pferd, wäre sie vor ihm davongelaufen, wenn es möglich gewesen wäre. Und so war sie alles andere als erfreut, als Benzaquen am nächsten Morgen an ihre Tür klopfte und sie ehrerbietig fragte, ob sie an seiner Stelle dem Fremden das Tal zeigen könne. »Meine Schafe haben angefangen, Junge zu werfen, und ich muß mich heute um sie kümmern«, sagte er, und so blieb ihr keine andere Wahl, als zuzustimmen.
Er erzählte ihr, was er über den Mann wußte, der Medicus in Guadalajara sei, wie er sagte.
11. Ein Arzt auf Besuch
J ona hatte in Benzaquens Heuschober gut geschlafen. Da er Benzaquens Frau keine Arbeit machen wollte, schlich er sich ins Haus, während sie noch schliefen, nahm ein brennendes Kohlestück vom Feuer, entzündete damit ein Feuer am Bach, der am Haus vorbeifloß, und kochte sich aus seinen zur Neige gehenden Vorräten einen Erbsbrei. So war er satt und ausgeruht, als Adriana Chacon zu ihm kam und ihm sagte, sie werde ihn an Benzaquens Stelle durchs Dorf führen. Er brauche sein Pferd nicht zu satteln, fügte sie hinzu. »Heute werde ich Euch die östliche Seite des Tals zeigen. Da gehen wir besser zu Fuß. Vielleicht zeigt Euch morgen jemand anders den anderen Teil, und dann könnt Ihr reiten«, sagte sie, und er nickte. Er staunte noch immer über ihre große Ähnlichkeit mit Ines, doch bei genauerer Betrachtung sah er, daß es auch Unterschiede gab: Sie war größer als Ines und hatte breitere Schultern und einen kleineren Busen. Ihr schlanker Körper war so ansehnlich wie ihr interessantes Gesicht; im Gehen zeichneten sich ihre runden Schenkel im grauen Tuch ihres Gewands ab. Doch man spürte, daß sie sich ihrer Schönheit nicht bewußt war; sie hatte keine törichte Geziertheit an sich.
Er nahm den kleinen, mit einem Tuch bedeckten Korb, den sie mitgebracht hatte, und trug ihn beim Gehen. Als sie an einem Feld vorbeikamen, auf dem Männer arbeiteten, hob sie die Hand zum Gruß, unterbrach sie aber nicht in ihrer Arbeit, um ihn vorzustellen. »Dieser Mann da bei der Aussaat ist mein Vater, Joaquin Chacon«, sagte sie.
»Ja, ich habe ihn gestern schon kennengelernt. Er gehörte zu denen, die herbeigestürzt kamen, um Euch zu helfen.«
»Auch er kann sich nicht an Euch erinnern«, sagte sie ihm.
»Kein Wunder. Als ich in Granada war, sagte man mir, daß er im Süden sei, um Seide zu kaufen.«
»Mica Benzaquen hat mir erzählt, daß Ihr damals meine Tante heiraten wolltet.«
Mica Benzaquen ist ein verdammtes Klatschmaul, dachte Jona, aber er hatte ja recht. »Ja, ich wollte Ines Saadi Denia heiraten. Benzaquen war ein enger Freund Eures Großvaters. Er diente als Vermittler und horchte mich für Isaak Saadi nach meiner Vermögenslage aus. Ich war jung und sehr arm, und meine Zukunftsaussichten waren düster. Ich hatte gehofft, Isaak Saadi würde mir den Seidenhandel beibringen, aber Benzaquen sagte mir, daß Isaak Saadi bereits einen Schwiegersohn habe, der bei ihm arbeite – Euer Vater –, und daß Ines einen Mann mit einem eigenen Geschäft oder Gewerbe heiraten müsse. Er gab mir deutlich zu verstehen, daß Euer Großvater keinen Schwiegersohn brauchen könne, den er unterstützen müsse, und schickte mich weg.«
»Und das hat Euch schwer getroffen?« fragte sie, doch leichthin, als wollte sie andeuten, daß nach all den Jahren diese Zurückweisung in der Jugend nicht mehr so schrecklich sein könne.
»Das war ich wirklich, doch nicht nur, weil ich Ines, sondern auch, weil ich Euch verloren hatte. Ich wollte sie heiraten, doch auch ihre kleine Nichte hatte mich verzaubert. Nachdem Ihr geflohen wart, fand ich einen glatten, roten Kiesel, mit dem Ihr immer gespielt hattet. Ich nahm ihn als Andenken und hatte ihn mehr als ein Jahr lang, bevor ich ihn verlor.«
Sie sah ihn an. »Tatsächlich?«
»Bei Gott. Es ist wirklich schade, daß Isaak mich nicht in seine Familie aufnahm. Ich hätte Euer Onkel sein und zu Eurer Erziehung beitragen können.«
»Ihr hättet aber auch mit Ines in Pamplona sterben können, an Isidoro Sabinos Stelle«, erwiderte sie.
»Was für eine vernünftige Frau Ihr doch seid. Das hätte tatsächlich passieren können.«
Sie kamen zu einem stinkenden Pferch, in dem sich viele Schweine im Schlamm wälzten. Dahinter standen ein Räucherhaus und ein hagerer Schweinefarmer, den Adriana Jona als Rodolfo Garcia vorstellte.
»Ich habe schon gehört, daß wir einen Besucher von außerhalb haben«, sagte Garcia.
»Ich bin hier, um ihm den Stolz des Tals zu
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