Der Medicus von Saragossa
verwendet werden konnten. Wie Naturdenkmale stapelten sie sich vor seinem Haus und warteten auf den Tag, daß jemand etwas bauen wollte.
Sie waren beide müde, als Adriana ihn am späten Nachmittag zu Benzaquens finca zurückbrachte. Sie hatten sich bereits verabschiedet und waren ihrer Wege gegangen, als sie sich noch einmal umdrehte.
»Wenn Ihr morgen als Arzt fertig seid, zeige ich Euch sehr gern des Rest des Tales«, sagte sie, und er dankte ihr noch einmal für ihre Freundlichkeit und fügte hinzu, daß er sich darauf freue.
Früh am nächsten Morgen kam als erste Patientin eine Frau namens Viola Violante zu dem Arzt auf Besuch. »Der Teufel sitzt in meinem Augenzahn«, sagte sie.
Als er ihr in den geöffneten Mund spähte, sah er sofort, was sie quälte, denn ein Schneidezahn war verfärbt und das Zahnfleisch darum herum sehr blaß. »Wenn ich Euch nur schon früher gesehen hätte, Señora«, murmelte er, doch er hatte eine Zange in seiner Arzttasche, und der Zahn mußte auf jeden Fall gezogen werden. Wie Jona befürchtet hatte, war er bereits verfault und brach während des Ziehens. Obwohl er sich anstrengen mußte, um alle kranken Wurzelteile zu entfernen, lagen am Ende die Bruchstücke im Staub vor Señora Violantes Füßen. Blut spuckend, aber voll des Lobes für seine Arbeit, entfernte sie sich.
Inzwischen hatten sich mehrere Leute versammelt, und er war den ganzen Vormittag über beschäftigt. Er kümmerte sich um jeden Patienten einzeln, und um ungestört zu sein, bat er die anderen, ein Stückchen weiter weg zu warten. Durand Chazan Halevi stutzte er einen eingewachsenen Zehennagel und hörte dann zu, wie Asher de Segarra den Durchfall beschrieb, der ihn immer wieder plagte.
»Ich habe keine Arznei bei mir, und Ihr seid weit weg von der nächsten Apotheke«, sagte er zu Señor Segarra. »Aber bald blühen die Rosen. Wenn Ihr einen Becher voll Blütenblätter mit Honig in Wasser kocht, den Sud gut auskühlen laßt und ein Hühnerei hineinquirlt, bekommt Ihr einen Trank, der Eure Beschwerden lindert.«
Mittags brachte Lea Chazan ihm Brot in einer Schüssel Brühe, und er aß dankbar und machte sich dann wieder daran, Karbunkel zu stechen, über Verdauung und Ernährung zu sprechen und Leute mit einem Becher zum Pinkeln hinter die Scheune zu schicken, damit er ihren Urin untersuchen konnte.
Irgendwann kam Adriana Chacon. Sie stand da und unterhielt sich mit den Wartenden. Ein paarmal wandte sie den Blick zur Scheune, wo er jemanden behandelte.
Doch als er das nächste Mal den Kopf hob, weil er sie sehen wollte, war sie verschwunden.
Am nächsten Morgen erschien Adriana auf einer moosbraunen Stute mit dem Namen Doña. Zuerst ritten sie zur Kirche, wo sie ihm Padre Serafino vorstellte. Der Priester fragte ihn, woher er komme, und Jona sagte ihm, aus Guadalajara. Padre Serafino spitzte die Lippen. »Ihr seid weit gereist.«
Das Schlimme am Lügen, das hatte Jona schon vor langer Zeit erkannt, war, daß eine Lüge viele weitere nach sich zog. So beeilte er sich, das Thema zu wechseln, und lobte die kleine, aus Stein und Balkenwerk erbaute Kirche. »Hat sie auch einen Namen?« fragte er.
»Ich habe mir schon einige Namen überlegt, die ich den Gemeindemitgliedern vorschlagen will, denn sie müssen mich bei dieser Entscheidung beraten. Zuerst dachte ich an ›Kirche zum heiligen Dominik‹ aber viele andere Kirchen tragen diesen Namen bereits. Was meint Ihr dazu, wenn ich sie ›Kirche zu Cosme und Damian‹ nenne?«
»Waren das Heilige, Padre?« fragte Adriana.
»Nein, mein Kind, das waren frühe Märtyrer, zwei in Arabien geborene Zwillingsbrüder. Sie wurden beide Ärzte, die sich ohne Bezahlung um die Armen kümmerten und viele heilten. Als der römische Kaiser Diokletian anfing, die Christen zu verfolgen, befahl er den Brüdern, ihrem Glauben zu entsagen, und als sie sich weigerten, ließ er sie mit dem Schwert köpfen. – Ich habe heute morgen von einem anderen Arzt gehört, der Leidende behandelt und jede Bezahlung abgelehnt hat«, ergänzte er.
Jona sah sich ungerechtfertigterweise gelobt und wollte nicht in einem Atemzug mit Märtyrern genannt werden. »Normalerweise nehme ich für meine Dienste Bezahlung an, und zwar sehr gerne«, sagte er. »Aber im Augenblick bin ich ein Gast in diesem Tal. Das wäre ein armseliger Gast, der von seinen Gastgebern Bezahlung annehmen würde.«
»Ihr habt selbstlos gehandelt«, sagte Padre Serafino, der sich von seiner Meinung nicht abbringen ließ. Er
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