Der Medicus von Saragossa
Kunstwerk höchsten Ranges. In Kastilien konnten sie es wohl kaum verkaufen, da jedermann über den Diebstahl Bescheid wußte. Wenn es überhaupt wiederverkauft wurde, dann ist es jetzt bestimmt nicht mehr in Spanien.«
»Wer würde denn mit solchen Dingen handeln?«
»Das ist eine besondere Form des Diebstahls. Im Lauf der Jahre habe ich von zwei Gruppen gehört, die gestohlene Reliquien und dergleichen kaufen und verkaufen. Eine ist oben im Norden tätig, und dort kenne ich niemanden mit Namen. Die andere sitzt hier unten im Süden und wird angeführt von einem Mann namens Anselmo Lavera.«
»Wo könnte ich diesen Lavera finden?«
Mingo schüttelte ernst den Kopf. »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Und auch wenn ich es wüßte, würde ich es dir nur ungern sagen, denn das ist ein sehr böser Mann.«
Er beugte sich vor und sah Jona in die Augen. »Du mußt dankbar sein, daß du nicht bei der Geburt erdrosselt wurdest. Du mußt die bittere Vergangenheit vergessen und dir die Zukunft versüßen. Ich wünsche dir eine geruhsame Nacht, mein Freund.«
Mingo nahm an, daß Jona ein Konvertit sei. »Auch die Roma gehören einer vorchristlichen Religion an«, gestand er ihm, »einem Glauben, welcher die Boten des Lichts verehrt, die gegen die Boten der Finsternis kämpfen. Aber wir finden es einfacher, den Gott des Landes anzubeten, in dem wir uns aufhalten, weshalb wir zum Christentum übergetreten sind, als wir nach Europa kamen. Und, um die Wahrheit zu sagen, wurden die meisten von uns auch Moslems, als wir ins Herrschaftsgebiet der Mauren zogen.«
Mingo befürchtete, Jona könne sich nicht ausreichend verteidigen, falls er angegriffen wurde. »Deine kaputte Hacke ist... eben nur eine kaputte Hacke. Du mußt lernen, mit der Waffe eines Mannes zu kämpfen. Ich will dir beibringen, wie man mit einem Messer umgeht.«
So begann der Unterricht. Für den schlechten Dolch, den Jona von Fernando Ruiz erhalten hatte, als er Schäfer wurde, hatte Mingo nur Spott übrig. »Nimm das«, sagte er und gab ihm ein Messer aus maurischem Stahl.
Er zeigte Jona, wie er das Messer mit der Handfläche anstelle des Handrückens nach oben halten mußte, damit er mit steigendem, reißendem Hieb zustechen konnte. Und er schärfte ihm ein, schnell zuzustechen, bevor der Gegner erraten konnte, aus welcher Richtung der Hieb kam.
Er schärfte Jona ein, stets Augen und Körper des Gegners zu beobachten, damit er jede Bewegung vorausahnen konnte, bevor sie ausgeführt wurde, und lehrte ihn, geschmeidig zu werden wie eine Wildkatze, die dem Gegner wenig Angriffsfläche und keine Ausweichmöglichkeiten bot. Die Beharrlichkeit und Eindringlichkeit, mit der Mingo ihn unterwies, erinnerte ihn an einen Rabbi, der ein ilui, ein biblisches Wunderkind, die Schrift lehrt. So lernte er schnell und gut zu Füßen eines kleinen, merkwürdig gestalteten Meisters, und schon bald dachte und handelte er wie ein Messerkämpfer.
Ihre Zuneigung wuchs und gedieh, bis sie war wie eine Freundschaft vieler Jahre und nicht nur einiger kurzer Monate.
Eines Tages erhielt Mingo die Nachricht, er solle in die Alhambra kommen, weil der neue christliche Haushofmeister, ein Mann namens Don Ramón Rodriguez, sich mit ihm zu besprechen wünsche.
»Würde es dich freuen, die Alhambra aus der Nähe zu sehen?« fragte er Jona.
»Natürlich würde es das, mein Freund!«
So ritten sie am nächsten Morgen miteinander den Sacromonte hinunter, der große und muskulöse junge Mann, dessen abgespreizte Beine zu lang waren und dessen Gewicht viel zu schwer für seinen armen kleinen Esel, und das winzige Männchen, das auf einem prächtigen grauen Hengst saß wie ein Frosch auf einem Hund.
Unterwegs erzählte Mingo Jona die Geschichte der Alhambra. »Mohammed I., den man wegen seines roten Haares Ibn al-Ahmar nannte, erbaute im dreizehnten Jahrhundert hier den ersten befestigten Palast. Ein Jahrhundert später wurde für Jusuf I. der Myrtenhof gebaut. Nachfolgende Kalifen erweiterten Zitadelle und Palast. Der Löwenhof wurde von Mohammed V. errichtet, und der Turm der Infantinnen wurde von Mohammed VII. hinzugefügt.«
Als sie die hohe, rosenfarbene Mauer erreichten, hielt Mingo ihre Reittiere an. »Dreizehn Türme erheben sich aus der Mauer. Das ist das Tor der Gerechtigkeit«, sagte er und deutete auf die Darstellung einer Hand und eines Schlüssels, die in die Doppelbögen des Tors eingemeißelt waren. »Die fünf Finger stellen die Verpflichtung dar, fünfmal täglich zu
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