Der Medicus von Saragossa
doch als sie die Seide mit Hilfe der Länge ihres Unterarms vom Ellbogen bis zu den Knöcheln ihrer geballten Faust abmaß, rutschte der Ärmel ihres Kleides hoch, und er sah, daß die Haut dort, wo der Stoff sie vor der Sonne schützte, heller war als die Seide.
Sie hob den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Einen kurzen Augenblick lang sahen sie sich in die Augen. Dann wandte sie den Blick wieder ab, und beinahe ungläubig bemerkte Jona eine köstliche Rötung an ihrem lieblichen Hals.
Inmitten von Gackern und Glucken und dem Gestank von Hühnerkot und Federn erfuhr Jona von einem Geflügelhändler, daß der Seidenhändler mit dem Turban Isaak Saadi heiße.
Lange trieb er sich in der Nähe des Seidenstands herum, bis keine Kunden ihn mehr umringten. Nur wenige kauften, aber den Leuten machte es Freude, die Seide anzusehen und zu berühren. Doch schließlich waren alle Neugierigen verschwunden, und er näherte sich dem Mann.
Wie sollte er ihn ansprechen? Kurzerhand beschloß Jona, in seinem Gruß verschiedene Elemente ihrer beider Kulturen zu verschmelzen. »Der Friede sei mit Euch, Señor Saadi.«
Der Mann antwortete freundlich auf seinen ehrerbietigen Ton: »Auch mit Euch sei der Friede, Señor.«
Hinter dem Mann – der bestimmt ihr Vater war – beschäftigte sich die junge Frau mit den Seidenballen und sah die beiden nicht an.
Er wußte unwillkürlich, daß Verstellung hier nicht angebracht war. »Ich bin Jona Toledano. Ich frage mich, ob Ihr mir vielleicht jemanden nennen könnt, der Arbeit für mich hat.«
Señor Saadi runzelte die Stirn. Er starrte Jona argwöhnisch an und musterte seine armselige Kleidung, die gebrochene Nase und die zottelige Haar- und Barttracht. »Ich kenne niemanden, der einen Gehilfen braucht. Woher kennt Ihr meinen Namen?«
»Ich habe bei dem Geflügelhändler nachgefragt. Ich schätze den Seidenhandel sehr.« Er lächelte schwach über seine Torheit. »In Toledo war der Seidenhändler Zadoq de Paternina ein enger Freund meines Vaters, Helkias Toledano, möge er in Frieden ruhen. Kennt Ihr Zadoq de Paternina?«
»Nein, aber ich kenne seinen Ruf. Geht es ihm gut?«
Jona zuckte die Achseln. »Er gehörte zu jenen, die Spanien verließen.«
»War Euer Vater ein Geschäftsmann?«
»Mein Vater war ein hervorragender Silberschmied. Leider kam er ums Leben... bei einem unerfreulichen Zwischenfall.«
»Oh, oh, oh. Möge er in Frieden ruhen.« Señor Saadi seufzte. In der Welt, in der sie beide aufgewachsen waren, war es ein eherner Grundsatz, daß man jedem jüdischen Fremden, der einen ansprach, die Gastfreundschaft anbot. Aber Jona wußte, daß dieser Mann ihn für einen Konvertiten hielt, und in diesen Tagen einen Fremden einzuladen konnte bedeuten, sich einen Spitzel der Inquisition ins Haus zu holen.
»Ich wünsche Euch Glück. Geht mit Gott«, sagte Saadi verlegen.
»Das wünsche ich Euch auch.« Jona wandte sich zum Gehen, doch schon nach zwei Schritten war der ältere Mann ihm gefolgt.
»Habt Ihr eine Unterkunft?«
»Ja, ich habe einen Platz zum Schlafen.«
Isaak Saadi nickte. »Ihr müßt zum Essen in mein Haus kommen.« Jona hörte die unausgesprochenen Worte: Immerhin jemand, der Zadoq de Paternina kennt. »Am Freitag, zeitig vor Sonnenuntergang.«
Bei diesen Worten hob das Mädchen den Blick von der Seide, und Jona sah, daß sie lächelte.
Er besserte seine Kleidung aus und ging zu einem Bach und wusch sie, und dann schrubbte er Gesicht und Körper mit gleicher Beflissenheit. Mana stutzte ihm Haare und Bart, während Mingo, der inzwischen wieder viel Zeit in der Pracht der Alhambra verbrachte, seine Vorbereitungen mit großer Belustigung beobachtete.
»All das, nur um mit einem Lumpenhändler zu essen«, spottete der kleine Mann. »Ich mache kein solches Aufhebens, selbst wenn ich mit königlichen Hoheiten speise!«
In einem anderen Leben hätte Jona koscheren Wein als Gastgeschenk gekauft. Am Freitag nachmittag ging er auf den Markt. Für Trauben war es bereits zu spät im Jahr, und so erstand er einige große, von süßem Saft triefende Datteln.
Vielleicht würde das Mädchen gar nicht anwesend sein. Vielleicht war sie nur eine Dienstmagd im Geschäft und nicht Tochter des Geschäftsbesitzers, sagte sich Jona, während er, Señor Saadis Wegbeschreibung folgend, zu dessen Heim ging. Es erwies sich als kleines Haus im Albaicin, dem alten arabischen Viertel, das von jenen aufgegeben worden war, die nach der Niederlage der Mauren gegen die katholischen
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