Der Medicus von Saragossa
Monarchen die Flucht ergriffen hatten. Jona wurde von Saadi, der das Gastgeschenk der Datteln mit formeller Dankbarkeit annahm, umständlich begrüßt.
Das Mädchen war da, sie war die Tochter des Hauses, und sie hieß Ines. Ihre Mutter wurde Suleika Denia genannt und war eine dünne, stille Frau mit furchtsamen Augen. Ines' ältere Schwester, eine dickliche Frau mit schweren Brüsten, hieß Felipa und hatte eine hübsche kleine Tochter von sechs Jahren namens Adriana. Saadi erzählte, daß Joaquin Chacon, Felipas Ehemann, unterwegs sei, um in den Häfen im Süden Seide einzukaufen.
Die vier Erwachsenen musterten ihn nervös. Nur das kleine Mädchen lächelte.
Suleika servierte den beiden Männern die Datteln, und dann beschäftigten sich die Frauen mit der Vorbereitung des Mahls.
»Euer Vater, möge er in Frieden ruhen... Ihr sagtet, er war Silberschmied?« fragte Isaak Saadi und spuckte Dattelkerne in seine Hand.
»Ja, Señor.«
»In Toledo, sagtet Ihr?«
»Ja.«
»Und nun sucht Ihr also Anstellung? Habt Ihr denn nicht die Werkstatt übernommen, als Euer Vater starb?«
»Nein«, erwiderte Jona. Er ging nicht näher darauf ein, doch Saadi hatte keine Hemmungen weiterzufragen.
»War es vielleicht kein gutes Geschäft?«
»Mein Vater war ein wunderbarer Silberschmied und sehr gefragt. Sein Name ist in diesem Gewerbe wohlbekannt.«
»Aha.«
Kurz bevor die Dunkelheit hereinbrach, blies Suleika Denia in die glühenden Kohlen in einem Metallbehälter und hielt einen Holzspan daran, mit dem sie drei Öllampen entfachte. Dann zündete sie im angrenzenden Zimmer Kerzen an. Sabbatkerzen? Es war nicht zu sagen. Suleika Denia kehrte Jona den Rücken zu, und er hörte keinen Laut. Anfangs wußte er nicht, ob sie den Bund erneuerte oder nur für zusätzliche Beleuchtung sorgte, doch dann sah er sie beinahe unmerklich schwanken.
Die Frau betete über den Sabbatkerzen!
Saadi hatte bemerkt, daß Jona sie beobachtete. Das schmale, kantige Gesicht des Gastgebers war angespannt. Sie saßen beieinander und unterhielten sich stockend. Als der Duft gebratenen Gemüses und geschmorten Geflügels durchs Haus zog, wurde es draußen dunkel, und nur die Kerzen und Öllampen erhellten die Zimmer. Bald darauf führte Isaak Saadi Jona zu Tisch, während das Mädchen Ines Brot und Wein auftrug.
Als sie am Tisch saßen, fiel Jona auf, daß sein Gastgeber noch immer verunsichert wirkte.
»Lassen wir unseren Gast und neuen Freund das Tischgebet sprechen«, sagte Saadi und schob so geschickt Jona die Verantwortung zu.
Jona wußte, wenn Saadi ein ernsthafter Christ wäre, hätte er Jesus für das Essen gedankt, das sie gleich zu sich nehmen würden. Der sicherste Weg, den Jona auch einschlagen wollte, wäre es, einfach Gott für das Mahl zu danken. Doch als er den Mund öffnete, dachte er an die Frau, die ihre eigenen Gebete nur unvollkommen verschleiert hatte, und schlug, fast ohne es zu wollen, den anderen Weg ein. Er hob sein Weinglas und stimmte in heiserem Hebräisch den Gesang an, mit dem man den Sabbat, die Königin der Tage, begrüßt und Gott für die Frucht des Rebstocks dankt.
Während die anderen drei Erwachsenen am Tisch ihn stumm anstarrten, trank er einen Schluck Wein und gab das Brot an Saadi weiter. Der ältere Mann zögerte, doch dann riß er ein Stück vom Laib und sang den Dank für die Früchte der Erde.
Die Worte und Melodien öffneten eine Tür zu Jonas Erinnerung, und in seine Freude mischte sich Schmerz. So war es nicht Gott, den er in den Berachot anrief, sondern seine Eltern, seine Brüder, seinen Onkel, seine Tante und seine Freunde – die Verstorbenen.
Als die Gebete zu Ende gesprochen waren, schaute nur Felipa gelangweilt drein, anscheinend ärgerte sie sich über etwas, das ihre Tochter sie flüsternd gefragt hatte. Isaak Saadis wachsames Gesicht war traurig, aber entspannt, und Suleikas Augen waren feucht, während Ines, wie Jona bemerkte, ihn mit Interesse und Neugier musterte.
Saadi hatte eine Entscheidung getroffen. Er stellte eine Öllampe ins Fenster, und die drei Frauen trugen Speisen auf, von denen Jona seit langem geträumt hatte: zartes geschmortes Hühnchen und Gemüse, einen Reispudding mit Rosinen und Safran, in Wein eingelegte Granatapfelkerne. Bevor das Mahl zu Ende war, traf der erste ein, den das Licht im Fenster eingeladen hatte. Es war ein großer, gutaussehender Mann mit einem roten Mal wie eine zerdrückte Beere knapp unterhalb des Kiefers auf dem Hals.
»Das ist unser guter
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