Der Medicus von Saragossa
am Seidenstand. Felipa arbeitete an ihrer Stelle.
In dieser Nacht fand er keinen Schlaf vor brennendem Verlangen, denn er malte sich aus, wie es wäre, bei einer geliebten Frau zu liegen. Wie es wäre, Ines zum Eheweib zu haben und die Körper zu vereinigen gemäß dem Gebot, fruchtbar zu sein und sich zu vermehren. Wie fremdartig und gleichzeitig schön das wäre.
Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und beschloß, mit ihrem Vater zu reden.
Doch als er auf den Markt ging, um seinen Entschluß in die Tat umzusetzen, erwartete ihn bereits Mica Benzaquen, der Nachbar von Isaak Saadis Familie.
Auf den Vorschlag des älteren Mannes hin spazierten sie zur plaza mayor.
»Jona Toledano, mein Freund Isaak Saadi glaubt, daß seine jüngere Tochter Eure Aufmerksamkeit geweckt hat«, sagte Benzaquen taktvoll.
»Ines. Ja, das stimmt.«
»Ja, Ines. Ein Juwel von unschätzbarem Wert, nicht?«
Jona nickte und wartete.
»Züchtig und geschickt im Geschäft wie zu Hause. Ihrem Vater ist es eine Ehre, daß der Sohn von Helkias, dem Silberschmied von Toledo, möge er in Frieden ruhen, Isaaks Familie mit seiner Freundschaft beschenkt. Aber Señor Saadi hat einige Fragen. Seid Ihr einverstanden?«
»Natürlich.«
»Zum Beispiel: Familie?«
»Ich stamme ab von Rabbis und Schriftgelehrten sowohl auf meiner Mutter Seite wie auch der meines Vaters. Mein Großvater mütterlicherseits ...«
»Natürlich, natürlich. Vorfahren von hohem Ansehen. Aber lebende Verwandte, vielleicht mit einem Gewerbe, in das der junge Mann eintreten könnte?«
»Ich habe einen Onkel. Er hat während der Vertreibung Spanien verlassen. Ich weiß nicht, wo...«
»Oh, das ist bedauerlich.«
Aber der junge Mann, bemerkte Benzaquen, habe doch Señor Saadi gegenüber gewisse Fertigkeiten erwähnt, die ihm sein Vater, der Silberschmied, beigebracht habe. »Seid Ihr dann ein Silberschmiedmeister?«
»Als mein Vater starb, stand ich kurz davor, ein fahrender Geselle zu werden.«
»Oh... dann wart Ihr also noch in der Ausbildung. Bedauerlich, bedauerlich...«
»Ich lerne schnell. Ich könnte das Seidengewerbe erlernen.«
»Das glaube ich sehr gerne. Aber Isaak Saadi hat bereits einen Schwiegersohn im Seidengeschäft«, erwiderte Benzaquen dünn.
Jona wußte, daß er noch vor wenigen Jahren eine äußerst gute Partie für die Familie Saadi gewesen wäre. Jeder wäre begeistert gewesen, vor allem Isaak Saadi; jetzt aber war es so, daß er als Bräutigam nicht in Frage kam. Und dabei wußten sie noch gar nicht, daß er ein ungetaufter Flüchtling war.
Benzaquen starrte seine gebrochene Nase an. »Warum geht Ihr nicht zur Kirche?«
»Ich war... beschäftigt.«
Benzaquen zuckte die Achseln. Er warf nur einen flüchtigen Blick auf die fadenscheinige Kleidung des jungen Mannes und machte sich nicht mehr die Mühe, ihn nach seinem Vermögen zu fragen.
»In Zukunft müßt Ihr, wenn Ihr mit einer unverheirateten jungen Frau spazierengeht, ihr gestatten, ihre Einkaufstasche selbst zu tragen«, sagte er streng. »Ansonsten könnten Bewerber, die... annehmbarer sind, glauben, die Frau sei zu schwach, um die anstrengenden Pflichten eines Eheweibs zu erfüllen.«
Er wünschte leise einen guten Tag.
4. Was Mingo erfuhr
M ingo verbrachte inzwischen einen Großteil seiner Zeit in der Alhambra und kehrte nur für ein oder zwei Nächte pro Woche auf den Sacromonte zurück. Eines Abends überbrachte er Jona beunruhigende Nachrichten.
»Da die Monarchen in Kürze für einen längeren Aufenthalt in die Alhambra kommen, hat die Inquisition vor, alle marranos und moriscos in der Umgebung der Festung eingehend zu prüfen, damit auch nicht der geringste Hinweis auf abtrünnige Christen die königlichen Augen beleidige.«
Jona hörte schweigend zu.
»Sie suchen nach Häretikern, bis sie genügend von ihnen aufgetrieben haben. Bestimmt wird es ein Autodafe geben, damit sie ihren Eifer und ihre Tüchtigkeit beweisen können, vielleicht sogar mehr als eins, und Angehörige des Hofes, wenn nicht gar gekrönte Häupter, werden anwesend sein. Was ich dir damit sagen will, mein lieber Freund Jona«, sagte er sanft, »ist, daß es weise wäre, wenn du bald woandershin gehst, an einen Ort, an dem nicht jedes Vaterunser deines Lebens einer strengen Prüfung unterzogen wird.«
Jona hatte das Gefühl, daß der Anstand ihm gebot, diejenigen zu warnen, mit denen er erst kürzlich gebetet hatte. Vielleicht hegte er tief drinnen auch die wilde Hoffnung, daß Isaak Saadis Familie ihn als
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