Der Medicus von Saragossa
Señor?«
»Ich will ein paar Seevögel schießen«, sagte Angel und legte einen Pfeil auf die Sehne.
Der Maat war entsetzt. »Nein, Señor. Auf der Leona werdet Ihr keine Seevögel töten, denn dies würde sicheres Unheil über uns und das Schiff bringen.«
Costa sah Guells böse an, doch Paco beeilte sich, ihn zu besänftigen. »Bald sind wir an Land, Angel, und dann hast du genügend Gelegenheit zum Jagen. Bei deinem Können wirst du uns alle mit Fleisch versorgen.« Zur allgemeinen Erleichterung löste Costa darauf die Sehne vom Bogen und legte ihn weg.
Die Fahrgäste saßen beisammen und betrachteten Himmel und Meer. »Erzähl uns vom Krieg, Angel«, sagte Luis. Angel war immer noch wütend, aber Luis drängte ihn so lange, bis er einverstanden war. Anfangs hörten die Männer seinen Erinnerungen ans Soldatenleben aufmerksam zu, denn keiner von ihnen war je im Krieg gewesen. Doch schon bald hatten sie genug von den Geschichten über Gemetzel und Blutvergießen, über verbrannte Dörfer, geschlachtetes Vieh und geschändete Frauen. Ihre Neugier verlosch, lange bevor Angel mit seinen Erzählungen fertig war.
Die vier waren neun Tage an Bord der Leona. Die Eintönigkeit des Schiffslebens zermürbte sie, und manchmal erhitzten sich die Gemüter. So kamen sie bald stillschweigend überein, daß jeder einen Großteil des Tages für sich blieb. Jona dachte über ein Problem nach, das ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. Sollte er nach Gibraltar zurückkehren, würde Anselmo Lavera ihn töten, da war er sich ganz sicher. Doch Costas Zwist mit Gaspar Guells hatte ihn dazu gebracht, sein Problem in neuem Licht zu sehen. Angels Macht war durch die größere Macht, die der Maat an Bord des Schiffes hatte, überwunden worden. Eine Gewalt konnte folglich durch eine größere Gewalt in Schach gehalten werden.
Jona sagte sich, daß er eine größere Macht als Anselmo Lavera finden müsse, eine Kraft, die die Bedrohung durch den Reliquiendieb beseitigen konnte. Zuerst erschien ihm dieser Gedanke grotesk, doch während er Stunde um Stunde dasaß und aufs Meer hinausstarrte, reifte in seinem Kopf ein Plan.
Immer wenn das Schiff in einem Hafen anlegte, führten die vier Männer ihre Tiere an Land und bewegten sie, und als die Leona schließlich in den Hafen von Valencia einfuhr, waren Pferde und Lasttiere in gutem Zustand.
Jona hatte schreckliche Geschichten über Valencia aus der Zeit der Judenvertreibung gehört. Daß es damals im Hafen von Schiffen wimmelte, die in einem sehr schlechten Zustand waren und nur unter Segeln standen, weil ihre Besitzer sich am Fahrgeld der Flüchtlinge bereichern wollten. Daß die Frachträume schier barsten vor hineingepferchten Männern, Frauen und Kindern. Daß, als Krankheiten ausbrachen, sieche Fahrgäste auf unbewohnten Inseln zum Sterben ausgesetzt wurden. Daß einige Mannschaften, kaum daß sie auf hoher See waren, die Fahrgäste töteten und ihre Leichen ins Wasser warfen.
Doch an dem Tag, als Angel seinen Trupp von der Leona, wegführte, schien hell die Sonne, und im Hafen von Valencia war es friedlich und still.
Jona wußte, daß sich seine Tante, sein Onkel und sein kleiner Bruder wahrscheinlich in einem Küstendorf in der Nähe ein Schiff gesucht hatten. Vielleicht waren sie in See gestochen und befanden sich jetzt schon in einem fremden Land. In seinem Herzen wußte er, daß er sie nie wiedersehen würde, und doch sah er jedem Jungen im entsprechenden Alter, an dem er vorbeiritt, ins Gesicht, auf der Suche nach Eleasars vertrauten Zügen. Sein Bruder wäre inzwischen elf Jahre alt.
Aber Jona sah nur fremde Gesichter.
Valencia hinter sich lassend, wandten sie sich nach Westen. Keines der Pferde konnte es mit dem Araberhengst aufnehmen, den Jona bei den Turnieren geritten hatte. Sein jetziges Tier war eine große, graubraune Stute mit flachen Ohren und einem dünnen Schwanz, der schlaff zwischen riesigen Hinterbacken hing. Die Stute machte ihn nicht zum strahlenden Ritter, aber sie war ausdauernd und leicht zu reiten, und dafür war Jona dankbar. Angel ritt an der Spitze, gefolgt von Paco, der zwei Maultiere führte, und Luis mit den beiden anderen. Jona bildete die Nachhut, was ihm nur recht war. Jeder der vier entwickelte seine eigene Art, sich während der Reise die Zeit zu vertreiben. Angel hob immer wieder laut, aber falsch zu singen an, und heilige Lieder oder Gassenhauer waren ihm gleich lieb. Bei Kirchenliedern fiel Paco mit dröhnender Baßstimme ein. Luis döste im
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