Der Medicus von Saragossa
Sattel, während Jona sich mit vielfältigen Gedanken die Zeit vertrieb. Manchmal überlegte er, was er tun mußte, um seinen Plan gegen Anselmo Lavera in die Tat umzusetzen. Irgendwo in der Nähe von Toledo gab es bestimmt Männer, die mit gestohlenen Reliquien handelten und Anselmo Lavera seinen Platz in diesem ungesetzlichen Gewerbe streitig machten. Jona klammerte sich an den Gedanken, daß er gerettet wäre, wenn er sie dazu bringen könnte, Lavera zu beseitigen.
Oft brachte er Stunden damit zu, sich vergessene hebräische Texte wieder ins Gedächtnis zu rufen, jene reiche Sprache, die ihm so schnell entfallen war, die Worte und Melodien, die ihn schon nach ein paar Jahren im Stich gelassen hatten.
An einige wenige Stellen konnte er sich schließlich erinnern, und immer und immer wieder sagte er sich diese Bruchstücke vor. An einen kurzen Abschnitt aus der Genesis erinnerte er sich mit vollkommener Klarheit, denn es war der Text, den er gesungen hatte, als er zum ersten Mal aus der Tora hatte lesen dürfen. Als sie nun an die Stätte kamen, die Gott ihnen genannt hatte, baute Abraham daselbst den Altar und schichtete das Holz darauf; dann band er seinen Sohn Isaak und legte ihn auf den Altar, oben auf das Holz. Hierauf streckte Abraham seine Hand aus und ergriff das Messer, um seinen Sohn zu schlachten. Der Abschnitt hatte ihn damals erschreckt, und jetzt erschreckte er ihn wieder. Wie hatte Abraham seinem Sohn auftragen können, Holz für ein Brandopfer zu schneiden, und sich dann daranmachen, Isaak zu töten und seinen Leichnam zu verbrennen? Warum hatte Abraham Gottes Befehl nicht in Zweifel gezogen, warum hatte er nicht mit ihm gehadert? Abba hätte nie einen Sohn geopfert; Abba hatte sich selbst geopfert, damit sein Sohn überlebte.
Aber Jona erschauerte bei einem anderen Gedanken. Wenn Gott gerecht war, warum opferte er die Juden Iberiens?
Er wußte, was sein Vater und Rabbi Ortega auf eine solche Frage geantwortet hätten. Sie hätten gesagt, daß der Mensch Gottes Beweggründe nicht in Frage stellen dürfe, weil er den größeren Plan Gottes nicht kenne. Aber wenn zu diesem größeren Plan die Verbrennung von Menschen als Opfergaben gehörte, dann stellte Jona Gott in Frage. Für einen solchen Gott wagte er nicht Tag für Tag das gefährliche Spiel, Ramón Callicó zu sein. Er tat es für Abba und die anderen, für die guten Dinge, die er in der Tora gelernt hatte, Visionen eines gnädigen und tröstenden Gottes, eines Gottes, der sein Volk zwar in die Verbannung schickte, es aber letztendlich ins Gelobte Land führte.
Wenn er die Augen schloß, konnte er sich vorstellen, daß er selbst Teil dieser Karawane in der Wildnis war, einer aus einer Schar von Juden, einer Vielzahl von Juden. Er sah sie jeden Abend in der Wüste ihr Lager aufschlagen, hörte sie gemeinsam vor der Bundeslade und den Heiligen Gesetzestafeln beten...
Jona wurde aus seinen Tagträumen gerissen, als die länger werdenden Schatten Angel sagten, daß es Zeit für das Nachtlager war. Sie banden die acht Tiere unter einigen Bäumen an, und dann nahmen sich die vier Männer die Zeit, um zu pinkeln und zu furzen und die Sattelmüdigkeit aus den Gliedern zu schütteln. Anschließend sammelten sie Holz und entzündeten ein Feuer, und als ihre Grütze anfing zu simmern, sank Angel auf die Knie und befahl den anderen, es ihm gleichzutun, damit sie das Vaterunser und das Ave-Maria beten konnten.
Jona gehorchte als letzter. Unter dem finsteren Blick des Waffenmeisters kniete er sich in den Staub und fügte sein Stammeln den müden, gemurmelten Worten von Paco und Luis und den lauten, barschen Gebeten von Angel Costa hinzu.
Am nächsten Morgen brach Costa gleich beim ersten Tageslicht mit seinem Bogen auf. Als sie die Maultiere beladen hatten, kehrte er mit vier Tauben und zwei Rebhühnern zurück, die sie rupften, während sie, eine Spur aus Federn hinter sich lassend, langsam dahinritten. Nach einer Weile hielten sie an, um die Vögel auszunehmen und auf grünen Zweigen über einem Feuer zu braten.
Costa jagte jeden Morgen und brachte neben einer Vielzahl von Vögeln manchmal auch einen Hasen oder zwei mit, so daß sie während ihres Ritts nie Mangel an frischer Nahrung litten. Sie reisten ohne Unterbrechung, und wenn sie anhielten, mieden sie jede Zwistigkeit, wie Fierro es ihnen befohlen hatte.
Elf Tage verbrachten sie im Sattel, bevor sie eines Abends, als sie das Lager aufschlugen, im verlöschenden Licht in der Ferne die Mauern
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