Der Meister

keine Stiere, die da aus der Baracke hervorbrachen, als die Tore aufgerissen wurden, es waren Kühe.
    Allerdings apostrophierte sie der Ansager als »Kampftiere«, und da er als Spanier die deutschen Artikel verwechselte – unabsichtlich? –, sagte er nicht »das«, sondern »der Kampftier« …
    Der Meister begann Krämpfe zu bekommen:
    »Schon wird er unwirsch,
    zackicht reckt
    er den Ellenbogen;
    seine Stimme versauert sich,
    sein Auge blickt Grünspan.«
    Hat Nietzsche (Fragmente 1888, 20/54) den Meister vorausgeahnt?
    Ja, »der Kampftier« brach aus der Baracke hervor und raste schnurstracks über das Feld, soweit ihm der Strick das gestattete. Ich nehme an, daß die Kampfkühe erstens so abgerichtet waren und womöglich hinter dem Tor kurz vor dem Öffnen gezwickt oder sonstwie geärgert worden waren, damit sie lospesten. Aber eben nur, so weit dies der Strick gestattete. Denn sie waren am Hals an einem dicken Strick angehängt, der weit hinten im Inneren der Baracke befestigt war. So rannte also »der Kampftier« dem mutigen Torero nach, bis sich der Strick spannte, die Kuh durch die Wucht des Rennens kurz mit dem Vorderteil in die Höhe gerissen wurde und schrecklich brüllte. Sofort schaltete der Ansager den Toreromarsch und das Beifallsgedröhn wieder ein.
    »Ich halte das nicht mehr lang aus«, fauchte der Meister .
    Ja, was wohl ein echter Torero zu so einem Zinnober gesagt hätte?
    Der Pseudotorero da unten zeigte nun seine Künste: Er sprang über die Kuh, schwang sich auf ihren Rücken, schlüpfte unter ihr durch, fuchtelte mit dem Degen. Die Helfer hinten zogen dann nach einiger Zeit die Kuh am Strick wieder in die Baracke zurück, worauf der Torero seine Mütze in die Luft warf.
    Corrida in Oppenhusten.
    Der Beitrag, den Carlone dann für A verfaßte, gehörte zu den amüsantesten, die jemals in dem Blatt erschienen sind, veranlasste allerdings ein geharnischtes Protestschreiben des Fremdenverkehrsverbandes Oppenhusten u. Umg. e.V. nebst Klageandrohung, das aber die Redaktion erst nach der Einstellung des Blattes erreichte.
    Carlone weiter: Der Meister habe nach dem dritten der acht »Kampftiere« die Flucht ergriffen. Er warte, sagte er, im Alten Stadtkrug, den wir auf der Fahrt hierher gesehen hatten und der einen anheimelnd fachwerklichen Eindruck machte.
    Und kaum daß der Meister außer Sichtweite war, wedelte der Photograph in der karierten Schlotterhose herbei und bot Emma an, bei ihm für »künstlerische Photographien« Modell zu stehen … Er machte gleich ein paar unkünstlerische Aufnahmen von ihr, Schnappschüsse: »Als Erinnerung an den Tag.« Er werde die Photos gleich in seinem Atelier entwickeln und sich erlauben, die Abzüge ins Hotel zu bringen. »Wo steigen Sie ab?« So erfuhr er ganz nebenbei ihre Adresse.
    Was war sie für ein Mensch? Ein Luder? Eine notorische Lügnerin? Eine Nymphomanin, die sich der Männer bediente? Sicher bediente sie sich der Männer auch im außergeschlechtlichen Bereich. Selbst Carlone schleppte für sie Kisten und Schachteln, und erst der Meister , obwohl er kein Kraftheroe war. Sie selber konnte nichts tragen, allenfalls die Tasche mit dem Spezialbettzeug. Ein Bandscheibenvorfall vor einigen Jahren. Nein, nicht operiert, medikamentös behandelt. Kann man einen Bandscheibenvorfall medikamentös behandeln? Nie einen Dank. Dem Dank verschlossen sich ihre Lippen. Einmal schleppten der Meister und ich mehrere Kisten des gewissen Sprudelwassers, das allein sie vertrug, in ihre Wohnung. Den Rücken uns halb zuwendend, flatterte sie mit der Hand und quälte ein kaum hörbares »Danke« hervor.
    Was war sie für ein Mensch?
    »Was ist aus ihr geworden?« fragte ich Carlone in der Madonna .
    »Keine Ahnung. Vielleicht hat sie sich den Tod eingebildet und ist daran wirklich gestorben.«
    *
    Wieder Carlones Erzählung:
    Nach den Erfahrungen vom Maggio Musicale waren gleich drei Einzelzimmer für die Übernachtungen in der dem hotellosen Oppenhusten nächsten größeren Stadt (war es Münster? Ich weiß es nicht mehr. Osnabrück?) bestellt worden. Selbstverständlich hatte die Raimer – »Ich benutze lieber diese abschätzige Formulierung«, sagte Carlone in der Madonna  –, hatte die Raimer ihr Spezialbettzeug mitgeschleppt, das heißt, der Meister und ich schleppten, ich, um das ausdrücklich zu sagen, dem Meister zuliebe, nicht der Raimer zuliebe, denn ich wollte nicht, daß der Meister alles schleppte, was er aus Verblendung getan hätte.
    Aus