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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosendorfer Herbert
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verwöhnt waren wir ja nicht, hatten oft genug in finanzmüderen Zeiten in Jugendherbergen übernachtet. Es ging schon, und keiner von uns schnarchte oder hatte Verdauungsprobleme. Damals. Noch nicht. Der Meister nahm alles hin, war gehorsam wie ein Lamm.«
    Und die Bettwäsche! Sie könne nur in ihrer eigenen, absolut antiirgendwas Bettwäsche schlafen, hatte eine große Tasche mit Kopfkissen, Leintuch und allem möglichen dabei. Und eine Tasche mit Medikamenten. Vierundzwanzig Jahre alt … »Sag einmal«, hatte Carlone damals zum Meister gesagt, »welche Marotten entwickelt sie, wenn sie fünfzig ist?«
    »Aber …«, hatte der Meister gesagt.
    Carlone hatte verstanden. Ein erotischer Vulkan …
    »Ja, nun …«
    *
    Ja, und das war eine ganz andere Geschichte! Da gründete wieder einmal einer eine Zeitschrift. Es wurden andauernd Zeitschriften gegründet, damals. Es war, scheint’s, viel Geld für solchen Unsinn vorhanden. Eine Zeitschrift. Sie hieß A . Schlicht: A . Wofür »A« stand, wußte niemand. Aber Geld war da. Irgendein Millionär wollte wohl, statt Steuern zu zahlen, investieren. Eine Villa in der besten Gegend wurde für die Redaktion angemietet, ein Auto der Luxusklasse als Dienstwagen gekauft. Ich war zwar bei jener Expedition nach Oppenhusten nicht dabei, aber durch Carlones Vermittlung geriet auch ich in den Dunstkreis der Redaktion A , der und die sich, wie nicht anders zu erwarten, nach zwei Jahren in Luft auflösten. Zehn oder zwölf Redakteure scharten sich um einen Chefredakteur, der eine – allerdings sympathische – Nummer für sich war. Er hieß Frank Nickol, und wenn ich einen Film über einen lachenden Vampir drehen müßte, würde ich die Hauptrolle mit Frank Nickol besetzen.
    Er erzählte mir bei einer der vielen Partys, die die Redaktion mangels anderer Tätigkeiten und aufgrund des üppigen Etats gab, wie er zu seinem »Job«als Chefredakteur dieser dubiosen Zeitschrift gekommen war. Es hatte sich bei der in Aussicht gestellten Dotation des Postens eine große Anzahl von Kandidaten dafür gemeldet, und Nickol war sich im Klaren über die scharfe Konkurrenz. Er komponierte seine Vorstellungsrede bis ins Kleinste: »In jedem dritten Satz baute ich die Vokabel dynamisch ein. In nicht zu großen Abständen schleuderte ich kreativ in den Raum. Um zeitgemäß  – auch dieses Wort streute ich in angemessener Weise über den Redeteig – zu erscheinen, verwendete ich in geeigneten Dosen cool , tough , trendy und ähnliches, und um Bildung darzulegen, warf ich dem Menschen, der mir gegenübersaß, einige Fremdwörter an den Kopf: enigmatisch , Oxymoron , und als ich mich zu latrentisch verstieg, hatte ich, so merkte ich, gewonnen.« (Was ist latrentisch ? Das weiß niemand, am wenigsten wußte es Frank Nickol.)
    Es wurden so viele Redakteure, Assistenten, Sekretärinnen eingestellt, daß für Herrn Chefredakteur Nickol kaum etwas zu tun übrig blieb, außer die anderen machen zu lassen, was sie wollten. Ich traf ihn einmal an, als er grade zum Zeitvertreib – »und einer muß es ja machen« – das dürre Laub im Park, der die Villa umgab, mit einem Rechen zusammenkehrte. Bei der Gelegenheit erzählte er mir den Einfall, mit dem er an jenem Morgen beglückt worden war … er war schon ein erfrischend unernster Mensch: Er ließ vorn an der Mauer am Tor zum Park einen Schaukasten anbringen, in dem er täglich ein Bulletin über sein Befinden anschlagen ließ: Blutdruck, Puls, Stuhlgang, Körpertemperatur, allgemeine körperliche Verfassung, allgemeine geistige Verfassung, Besonderheiten (dies nur gegebenenfalls) und ein aktuelles Photo. Später mietete er – das heißt die Redaktion – einen ähnlichen Schaukasten am Hauptbahnhof …
    Die Zahl der freien Mitarbeiter war, wie sich denken läßt, unendlich – nein, natürlich nicht unendlich, aber unüberschaubar groß. Irgendwer, vielleicht Nickol selber, war auf Carlone gestoßen und hatte ihn zu den freien Mitarbeitern hinzugezogen: für die Theaterkritik. Carlone zog dann den Meister nach und dann mich. Auch Emma Raimer gehörte bald dazu, schrieb aber nichts, kassierte nur Aufwandsentschädigungen. Die Beiträge, die der Meister lieferte, »Troubadoure, Trouvères und Minnesänger«, wurden zwar meist bezahlt und gesetzt, der Satz aber dann beiseite gelegt »für eine spätere Ausgabe«, die nie erschien.
    Der Anspruch der A war großartig weitgespannt: Kulturmagazin im weitesten Sinn. Das heißt, es polterten Beiträge wie

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