Der Meister
Kraut und Rüben herein, von Berichten über Autorennen bis zu Bildern nackter Schöner und Nachrichten aus der astronomischen Forschung, Gesundheits- und Schönheitsratschläge und zum Beispiel: eine sensible Würdigung zu Novalis’ 200. Geburtstag. So etwas kann nicht gut gehen. Ging auch nicht. Zwei Jahre, glaube ich, dann wurde der Unfug liquidiert.
Länger als solche Zeit verpulvern selbst unbedarfte Geldgeber ihre Penunze nicht. Es war übrigens eine, glaube ich mich zu erinnern, Halbmonatszeitschrift.
Große Sorgfalt allerdings wurde auf drei Spalten verwendet, und da beteiligte sich auch der Chefredakteur: auf die Leserbriefe, die samt und sonders getürkt waren, auf die haarsträubende Ratgeberseite und auf das Horoskop. Für die Ratgeberseite hatte Nickol einen pensionierten Hochseekapitän erfunden, der angebliche Anfragen mit seebärischen Ausdrücken gespickt beantwortete: »Da sollten Se mal Ihre Lebenssejel reffen …«Ähnlich schamlos wurde die Horoskopseite zusammengebraut. »Und es gibt Leser und vor allem Leserinnen«, lachte Nickol schenkelklopfend, »die sich nach diesem Schwachsinn richten.«
»Und ein schlechtes Gewissen haben Sie dabei nicht?«
»Ich habe vor diesem Job hier in gezählten siebzehn Redaktionen gearbeitet. Sie machen’s überall so.«
»Die Sterne lügen nicht.«
*
Die Expedition oder besser Exkursion, von der oben die Rede war, ging nach Oppenhusten.
»Weiß jemand, wo Oppenhusten liegt?« fragte der Chef bei der Redaktionskonferenz. Carlone war, obwohl nur freier Mitarbeiter, oft dabei, ich seltener. (Ganz sicher bin ich mir nicht, aber es könnte gewesen sein, daß eine Redakteurin mit Namen Anne Z. dabei für Carlone eine Rolle gespielt hat.)
Niemand wußte, wo Oppenhusten liegt. Ein Atlas wurde herbeigeholt. Aha: Oppenhusten liegt im Münsterland.
»Was ist mit Oppenhusten?«
»Da ist eine Pressemitteilung vom regionalen Fremdenverkehrsverein. Eine Corrida.«
»Wie bitte?«
»Corrida. Stierkampf.«
»In Oppenhusten?«
»In Oppenhusten.«
*
Trotz Hemingway, trotz Picasso, trotz García Lorca: Ich bin ein Gegner der Stierkämpfe. Außer im Film oder Fernsehen habe ich nie einen Stierkampf gesehen, und auch da habe ich schnell weggeschaut. »Geometrie des Todes« hin oder her, ich halte den Stierkampf für eine Barbarei, ich halte es mit dem Stier, obwohl das, wie ich weiß, aussichtslos ist, und ich freue mich immer, wenn ich dann lese, daß ein Stier einen Torero aufgespießt hat.
In Oppenhusten?!
»Wer fährt hin?« Der Chefredakteur schaute in die Runde.
»Das kann nur eine Albernheit sein«, sagte Carlone mit seiner sonoren, gemütsruhigen Stimme.
»Um so besser«, sagte der Chefredakteur, »also fahren Sie?«
Carlone dachte einen Moment nach, einen Moment zu lang, denn der Chef, der dynamische, kreative Frank Nickol, bellte schon zur Sekretärin hinüber: » Er fährt. Suchen Sie den Flug nach Köln oder Düsseldorf, mieten Sie dort einen Wagen …«
Wie gesagt, das Geld wurde mit beiden Händen zum Fenster hinausgeworfen.
»Ich bin eigentlich für’s Theater zuständig«, wandte Carlone ein. Vergeblich.
»Ist Stierkampf nicht auch Theater?«
Aber Carlone hatte keinen Führerschein. Er stand wohl auf dem eleganten Standpunkt, daß der Gentleman weder ein Lenkrad noch ein Telephon anfasse, siehe: Hofmannsthal, Der Schwierige . Das ist Sache der Domestiken. Also, das Telephon bediente Carlone schon eigenhändig, doch, doch. Aber beim Auto weigerte er sich lebenslang, geriet ja dann auch nach dem Tod seines Vaters in finanzielle Verhältnisse, die ihm erlaubten, Taxi zu fahren.
Aber seltsamerweise hatte der Meister einen Führerschein noch aus der Dr.-Dorpat-Zeit.
»Sie haben keinen?« Der Chef stutzte.
»Nein. Aber wenn Wibesser mitfahren kann?«
»Dann kommt Wibesser mit«, tönte Frank Nickol, »also zwei Flüge.«
»Drei«, sagte Carlone, »Wibesser ohne Fräulein Raimer …?«
»Drei Flüge also«, sagte Nickol. Geld spielte ja keine Rolle.
Ich weiß das alles nur aus Carlones Erzählungen, der aber so plastisch und farbig zu erzählen weiß, mit einer so butterglatten Schönstimme, förmlich auf ein Panorama freskiert, daß ich mir oft nicht sicher bin, ob ich das Ganze nicht doch selber erlebt habe.
Emma schrie auf. Sie könne nicht fliegen. Warum, wieso? Wegen der Teppichböden im Flugzeug? »Ja, auch.« Aber eine Stunde? Eine Stunde Teppichboden habe sie doch auch auf der Party bei Guggemots ausgehalten. »Nein, ein für
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