Der Meister
Lissabon ansässige Unternehmen, um dessen Betrieb sich selbstverständlich nicht Tofandor selber, sondern ein Verwaltergremium kümmere, werfe so viel ab, daß Tofandor sorglos leben und weitere Werke schreiben könne, die er allerdings, wie auch seine früheren, der undankbaren Welt vorenthalte.
»Zur Zeit«, sagte der Meister , »arbeitet er an der Vertonung von Robert Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften .«
»Ach!« sagte Fräulein Bärlocher, »das mag ja ein gewaltiges Unterfangen sein.«
»Allerdings«, sagte der Meister .
»Woher wissen Sie das?«
»Er hat es mir geschrieben«, sagte der Meister .
(»Bist du wahnsinnig«, zischte Carlone.)
»Können Sie mir den Brief zeigen?«
(»Siehst du«, zischte Carlone.)
Der Meister stotterte. »Ich habe ihn … es ist …«
»Er hat ihn«, sprang ihm Carlone bei, »selbstverständlich im Safe in der Bank. Morgen kann er ihn Ihnen zeigen. Heute hat die Bank schon zu.«
So fabrizierte der Meister spätabends einen Brief Thremo Tofandors: »Sehr geehrter Herr Wibesser, mit großer Freude registriere ich Ihr Interesse an meinen Arbeiten, wobei Sie leider mit diesem Interesse so gut wie allein dastehen. Gern gebe ich Ihnen Auskunft, woran ich zur Zeit arbeite …« usw. usw. »Mit Dank und Grüßen Ihr Thremo Tofandor.« Mit des Meisters Schreibmaschine geschrieben (Modell 1938, damals das neueste). So brauchte nur die Unterschrift gefälscht zu werden. Das besorgte Carlone.
»Ich habe auch herausgefunden«, sagte die Zweimetria, »was eine Wasserkugel ist. Ein Kollege hat es gewußt, der Fischer ist. Man braucht die Wasserkugel zum Forellenfangen. Aber das heißt ja noch nicht, daß man weiß, was Tofandor damit gemeint hat. Und …«, sie zog ihre Unterlagen vor, »… die Violinsonatine in e-Moll op. 60 mit dem Untertitel ›Warum das Pläßhuhn ruft‹? An sich schreibt man Bläßhuhn mit weichem B.«
»Meister Tofandor ist eben in vielen Dingen eigenwillig«, sagte Carlone.
»So klingt sie auch«, sagte der Meister .
»Sie kennen die Sonatine?«
Carlone stieß unterm Tisch des Meisters Fuß an. Zu spät.
»Ja, nun … ja«, sagte der Meister …
Es war Schwerstarbeit. Freilich hatten beide, sowohl der Meister als auch Carlone Kurse in Harmonielehre gemacht und so manchen bezifferten Baß ausgesetzt, aber komponieren ist doch etwas anderes. Carlone kam darauf, in der Musikbibliothek aus dem verstaubtesten Regal etwas Geeignetes hervorzuziehen, etwas, das seit Menschengedenken dort liegt und das kein Mensch kennt. Es war ein Klaviertrio des – an dieser Stelle muß gesagt werden: repertoirisch zu billig gehandelten – Carl Gottlieb Reißiger. Nicht weniger als siebenundzwanzig davon hat er geschrieben, eins schöner als das andere – alle vergessen. Eins davon mißbrauchten der Meister und Carlone, um die Violinsonatine mit dem rätselhaften Untertitel »Warum das Pläßhuhn ruft« herzustellen: durch Hinzufügen dissonanter Akkorde, durch Verdrehen oder Umdrehen ganzer Passagen, durch Zerhacken einzelner Perioden, durch Einfügen schriller Flageolett-Töne, von denen die beiden annahmen, es sei das Rufen des Pläßhuhns mit hartem P. Danach schrieb der Meister mit seiner perfekten Notenschrift das Ganze ab, und Carlone signierte es mit »Thremo Tofandor«.
Fräulein Bärlocher war begeistert.
*
Man ahnt nicht, wie schnell die Wissenschaft reagiert, wenn einer vom anderen abschreiben kann. Es erschien wenig später die Neuauflage eines anderen Musiklexikons, genauer gesagt, der Ergänzungsband N–Z, und siehe da: Schon stand Thremo Tofandor drin.
»Jetzt gibt es ihn«, sagte Carlone, »jetzt ist er nicht mehr umzubringen.«
Dem Meister war es aber mulmig. Er stierte auf den aufgeschlagenen Band: als Geburtsdatum war 30. Juli 1897 angegeben. »Woher die das wissen wollen?«
Fräulein Bärlocher war übrigens – per Autostopp, was schwierig war angesichts ihrer Größe, meist mußte sie mit Lastwagen vorliebnehmen – nach Südtirol gefahren, wo laut Briefkopf des vom Meister gefälschten Briefes Thremo Tofandor wohnen sollte: in Eppan, italienisch Appiano, Reinspergweg 5. Nach einigem Suchen fand Fräulein Bärlocher sowohl Eppan als auch den Reinspergweg. Die Nummer 5 war ein großes, altes Anwesen mit Erkern und Türmchen, sichtlich verwahrlost, auf den ersten Blick sogar scheinbar unbewohnt. Ein altertümlicher Klingelzug funktionierte aber. Weit drinnen hinterm Tor und weiter oben bimmelte es. Nach einiger Zeit öffnete ein alter
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