Der Meister
sichtete er daher das Material – nun ja … –, das ihm seine Schülerin nach der Exkursion nach Südtirol vorlegte. Und schrieb einen Aufsatz in der Neuen Zeitschrift für Musik : »Eine Wanderung zu Tofandor.« In diesem Aufsatz analysierte er geistvoll und vor allem unter Berücksichtigung musiksoziologischer Gesichtspunkte die Violinsonatine, vergaß nicht, den Komponisten durch einige Adorno-Zitate als modern zu approbieren, frischte die spärlichen Lebensdaten Tofandors etwas auf, schilderte seinen Besuch bei dem zurückgezogen lebenden Komponisten, was mit einigen Photographien illustriert wurde, berichtete in großen Zügen von dem Gespräch, das er mit Tofandor geführt hatte, und brachte jenes Bild des bärtigen Mannes.
Sein Freund und Kollege Professor Mahrgut besprach den Aufsatz in einer anderen Zeitschrift, was in dem Satz gipfelte, daß man in der Tofandor-Forschung in Zukunft um diesen Aufsatz nicht herumkommen werde. Auch hier das Bild des Bärtigen mit der Unterschrift: T. Tofandor.
»Jetzt kann dir nichts mehr passieren«, sagte Carlone zum Meister , »jetzt würde man dich einen Banausen schimpfen, wenn du behauptetest, Tofandor gebe es nicht.«
»Meinst du?«
»Kannst du beweisen, daß es ihn nicht gibt? Eben.«
*
Fräulein Bärlocher wandte sich bald danach von der Musikwissenschaft ab und wechselte zur Ökotrophologie, das ist die gehobene Hauswirtschaftslehre, und promovierte mit einer Arbeit über die Geschichte des Semmelknödels.
*
Emma Raimer gehörte zum engeren Freundeskreis um einen weltberühmten Pianisten. Angeblich. Selbstverständlich Italiener, sonst wäre er für Emmas Bewunderung nicht in Frage gekommen. Ihre Bewunderung, die – so was läßt sich ja nicht trennen – eine stark erotische Komponente hatte, begleitete all ihre Affären und »Beziehungen«, ohne sie zu stören.
Emma reiste dem Pianisten nach, so oft es ihr möglich war. Wartete am Bühneneingang inmitten der anderen engen Freunde. Der Pianist trat heraus, begrüßte alle mit einer Umarmung und drei Küssen: rechts, links, rechts. Auch Emma. Eine enge, wenngleich erotisch unerfüllte Freundschaft.
Sagte sie.
Der Meister war eifersüchtig, denn in schöner Offenheit erklärte Emma immer wieder, daß sie alles stehen und liegen lassen würde, wenn der Ruf des Pianisten nach ihr einträfe.
Genauer gesagt: stehen und liegen lassen wird , denn der Ruf werde kommen, zwangsläufig. Der Pianist war verheiratet, und zwar mit einer rotmähnigen Schwedin, was Emma zum Haß auf alle Rothaarigen brachte. Aber der Pianist sei der Roten längst überdrüssig, demnächst … und dann werde er … in ihre, Emmas, ausgebreitete Arme sinken. Emma selber war strohblond.
Der Meister hielt das aus: verblendet.
»›Sag einmal‹, habe ich ihn nicht nur einmal gefragt«, erzählte Carlone in der Madonna , »›bist du nicht gescheit? Merkst du nicht, daß sie eine unerträgliche Egoistin ist? Von Minderwertigkeitskomplexen zerfressen, die sie durch ihre eingebildeten Krankheiten kompensiert?‹ Nein, der Meister sah das nicht ein, erzählte von ihrer Anschmiegsamkeit, von ihren Zärtlichkeiten in jenen Stunden, von ihrer restlosen Hingabe, von ihrer Gabe – so der Meister wörtlich –, ›den höchsten Gipfel zu ersteigen und einen dorthin mitzunehmen‹. Da war nichts zu machen. Ich habe übrigens den Pianisten später kennengelernt, als ich Chefdramaturg war. Ich habe ihn gefragt, und es hat ihm der Name Emma Raimer nichts gesagt.«
Und es kam noch viel schlimmer. Der Meister war im Kern seines Wesens ein geborener Junggeselle. Und ausgerechnet er tat das, was er nie und nimmer hätte tun dürfen, was seinem eigenbrötlerischen, pedantischen, bis zum Exzeß perfektionistisch ausgerichteten Wesen diametral widersprach, was keiner, der ihn kannte, je von ihm erwartet hatte: Er heiratete. Er heiratete Emma Raimer.
Der Göttliche Giselher hielt bei einem Abendessen einen ausgreifenden Vortrag über chromosomisch-genetische Charakterdispositionen für und gegen die Ehe – nannte ihn zwar nicht ausdrücklich, stellte aber den Meister als Prototyp des Eheungeeigneten ins Licht seiner Erörterungen. In Gegenwart des Meisters , der nur peinlich berührt den Kopf senkte. Wie üblich war der ganze Vortrag eher Schwachsinn, aber was seine Einordnung des Meisters betraf, hatte er recht. Es half nichts. Der Meister heiratete die Emma Raimer.
Zwei Jahre dauerte die Ehe, dann wandte sie sich einem viereckigen
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