Der Meister
Herr mit moroser Miene ein Fenster im zweiten Stock und krächzte: »Ja?«
»Ich suche Herrn Tofandor.«
»Wen?«
»Tofandor.«
»Gibt’s hier nicht.« Er schlug das Fenster zu.
Fräulein Bärlocher war entschlossen, nicht lockerzulassen. Sie zog wieder am Klingelzug. Der Alte bellte: »Was ist denn noch?«
»Hat Herr Tofandor hier gewohnt?«
»Nein. Wie heißt er?«
»Tofandor«, schrie sie.
»Nie gehört.«
»Halt! Halt! Wohnen Sie schon lange hier? Vielleicht, daß früher …?«
»Ich wohn seit dreißig Jahren hier. Tofandor? Nein. Nie.« Schlug das Fenster zu.
In der Mitte des Dorfes war in einem anderen alten Haus – Ansitz nennt man so was dort – eine Bar, also das, was man in Italien eine Bar nennt: eine Art Stehcafé, hier allerdings mit südtirolischem Einschlag in Richtung Weinkeller, ziemlich finster und rauchig und offenbar von zwei stark schwerhörigen, nahezu zwillingsgleich aussehenden alten Frauen betrieben, beide in großgeblümten Kittelschürzen.
Fräulein Bärlocher bestellte einen Kaffee. »Andeitschn?« fragte die eine Alte.
»Wie bitte?«
»Andeitschn odranspresso?« Auch die Zahnlücken der Alten trugen zur Sprachverundeutlichung bei. Fräulein Bärlocher blickte ratlos um sich. Weiter hinten an einem ungedeckten Holztisch saß ein Mann mit grünem Hut und einer tiefblauen Schürze und las in einer Zeitung. Er schaute jetzt auf und erkannte, daß Verständigungsschwierigkeiten bestanden. Er bemühte sich um Hochdeutsch, hatte auch etwas mehr Zähne.
»Ob Sie an deitschn Kaffee welln oder an walschen, also Espresso?«
»Ah! Vielen Dank. Espresso, bitte. Und darf ich Sie etwas fragen?«
»Ja? Was?«
»Kennen Sie einen Herrn Tofandor?«
»Tofandor?« Er wandte sich an die Alte: »Kenschep’roan, wo Tofandor hoaßt, magari?«
»Naaa«, sagte die Alte.
»Einen Komponisten? Musiker?« sagte Fräulein Bärlocher. Da fiel ihr ein, daß Tofandor laut Lexikonartikel der Künstlername des Komponisten ist. Sie hatte selbstverständlich eine Kopie des Artikels dabei, kramte ihn aus ihrer Handtasche. »Oder Herrn Ralf Schlierenzer?«
»Ha? Scheuch’n’zner? Ja der, der wohnt da ob’n – da – miaßn Sie lei…« usw. Er ging vor die Bar mit ihr und zeigte ihr den Weg.
Heiß war es. Die Sonne brannte. Fräulein Bärlocher stapfte hinauf zwischen Weinbergen und groben Mauern aus Feldsteinen bis zu einem allein in einem großen Garten stehenden Haus. Matschatscherweg 20. Scheuchenzuber R. stand an der Glocke.
Fräulein Bärlocher läutete. Eine alte Frau in einer Kittelschürze – eine Art Nationaltracht hier? – zeigte sich. War die Alte die Drillingsschwester der Alten da unten in der Bar? Oder sehen hier alle so aus?
»Ist Herr Schlierenzer zu sprechen?«
»Schlierenzer? Sie moanen Scheuchenzuber?«
»Den Hausherrn halt.«
»Derisch nit daa.«
»Wie?«
»Nicht da!«
»Wann kommt er denn?«
»Net vorn Herbscht.«
Fräulein Bärlocher verschnaufte. Nicht vor dem Herbst. Jetzt war Juli. »Darf ich das Haus photographieren?«
»Weg’n mir.« Die Alte trat zur Seite. Fräulein Bärlocher zog ihre Kamera hervor, photographierte das Haus, den Garten, das Tor.
»Darf ich auch Sie …?«
Die Alte kicherte, wischte die Hände an der Kittelschürze ab und stellte sich in gerader Photographierhaltung auf. Fräulein Bärlocher knipste.
»Sie sind … die Frau des Hauses?«
Die Alte kicherte wieder. »Naanaa. Naanaa. Ipaßlei aufs Haus auf.«
»Wie?«
»Solang der Herr net daa isch. Paß i auf.«
»Ach so. Sagen Sie …« Fräulein Bärlocher holte tief Luft »Ob ich das Arbeitszimmer des Herrn photographieren darf?«
Die Alte schaute kritisch.
»Nur für private Zwecke!«
»I woaß net … naa. I woaß net … Madei … Aber da – da, wenn’s schnell geat.« Sie öffnete die Haustür, zeigte auf den Hausgang. Schnell schoß Fräulein Bärlocher ein paar Bilder, dann schob die Alte sie wieder hinaus. Einen Blick in eins der Zimmer hatte Fräulein Bärlocher erhaschen können: ein großer Schreibtisch und ein Stapel ungeordneter Papiere daneben …
Fräulein Bärlocher ging, schweißgebadet, aber glücklich. Nachzutragen ist, daß im Hausgang ein ziemlich großes, gerahmtes Bild hing, das einen bärtigen Mann darstellte. Auch das hatte Fräulein Bärlocher schnell – mit Blitz – abgelichtet.
*
Professor Katruse hieß Fräulein Bärlochers Doktorvater. Wie erwähnt, hatte ihn der Hinweis auf Tofandor »förmlich elektrisiert«. Mit Wohlwollen
Weitere Kostenlose Bücher