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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosendorfer Herbert
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Beziehung zu dem quadratisch geformten (also ebenso hoch wie breiten) Pferdezüchter, der selber wohl auch über Zuchthengsteigenschaften, nicht aber, so Emma später, über das nötige Feingefühl für die Behandlung von Damen, erst recht nicht von promovierten Damen verfügte, dauerte nur wenige Monate. Dann kam Emma ziemlich abgerissen (in körperlichem wie im seelischen Sinn) zurück. Sie mußte den Porsche verkaufen, um nicht zu verhungern, kroch für einige Zeit bei einem jungen Studienreferendar (Fach: Sport und Werken) unter, was aber offenbar auch nicht von Dauer war.
    »Vom Marcusturme schlug es Mitternacht.« Ich bestellte zwei Gläser Passetto. Carlone strich sich über den Bauch. »Ach ja«, sagte er dann, »sie stand eines Tages vor des Meisters Tür. Bevor ich von ihm erfuhr, was sich dort abspielte, erfuhr ich es von Emma, die stante pede zu mir rannte. Im Meister hatte sich seit dem Weggang oder besser Weglauf Emmas die Große Verbitterung aufgestaut. Kombiniert mit dem Großen Schuppenfall von den Augen, du verstehst: Fall der Schuppen, die eigentlich nur von dem Verblendungsklebstoff vor den Augen des Meisters festgehalten worden waren. Oder wohl besser: Er hatte plötzlich alles gesehen, was er vor sich selber verborgen hatte. War er vielleicht überhaupt ein anderer geworden? Ich hatte ihn in der ganzen Zeit vorher nicht mehr so oft gesehen, ich war ja auch weg aus der Stadt, war in Hamburg.
    Es hatte wohl eine stille Wut nicht nur auf Emma, sondern vor allem auf sich selber in ihm gebrodelt, brodelte noch, als die Wachtel, verzeih den Ausdruck, vor ihm auftauchte und meinte, ihm ihre Rückkehr zu ihm zu schenken. Ja: zu schenken.
    Da explodierte er. Er warf ihr in der gewohnt präzisen Perfektion – du gestattest den Pleonasmus – ihre ganzen Macken und Launen, ihren kerntiefen Egoismus, ihre eingebildeten Krankheiten vor und drohte ihr zum Schluß an, daß er bei der Fakultät die Sache mit der Doktorarbeit anzeigen werde.
    ›Man wird dir nicht glauben‹, kreischte sie.
    ›Ha! Ich habe die Handschrift hier. Wohlverwahrt. Und es ist meine Handschrift.‹
    Als sie dann bei mir vor der Tür stand, war sie innerlich nur noch halb so groß wie vorher. Ich bat sie herein. Sie störte sich nicht am Teppichboden, bemerkte ihn wohl gar nicht. Ich glaube, ich hätte ihr Kirschen auf einem viereckigen Teller vorsetzen können. – Ob ich glaube, daß er so gemein sein könne?
    ›Und du? Wie gemein warst du zu ihm?‹
    Aber er setze sich doch selber damit in die Nesseln!
    ›Die Nesseln, in die er sich allenfalls setzt, sind nicht so hoch gewachsen wie deine.‹
    Und wenn sie der Welt den Schwindel mit Thremo Tofandor verkünde?
    ›Wie willst du das der Welt verkünden? Hört die Welt auf jemanden wie dich?‹
    Der Stich ›jemanden wie dich‹ saß, merkte ich. Sie war den Tränen nahe.
    ›Niemand‹, sagte ich, ›wird dir glauben. Es ist so gut wie unmöglich zu beweisen, daß es etwas nicht gibt. Alter Hut.‹
    Sie schluchzte noch ein paarmal. Fast war ich so weit, daß sie mir leid tat. Dann ging sie. Ich habe sie nie mehr wiedergesehen.«
    *
    »Ich nehme an«, sagte Carlone – noch in der Madonna , und ließ sich gerade ein Zwischengericht bringen, eine Art Krebstorte, hatte gesehen, daß sie am Nebentisch serviert wurde: »Mir auch so eine!« zum Kellner –, »ich nehme an, Pfarrer Rohrdörfer hätte eine ausgewachsene kirchliche Beerdigung für sein Peterl ausgerichtet. Das ging aber nicht.«
    Das Peterl war ein starker, rotbraun-weiß gefleckter Kater von, wenn das Oxymoron gestattet ist, liebenswürdiger Unnahbarkeit. Er verbreitete die Aura eines Wesens um sich, das beschlossen hat, schwierig zu werden. Er war ja auch schon über eineinhalb Jahrzehnte alt. Er konnte vom obersten Bücherregal mit einem welterkennenden Blick herunterschauen, der –
    »Ja«, sagte Carlone, »der mich an eine Photographie des alten Somerset Maugham erinnert – der da kurz vor seiner Metamorphose zu einem bösen Insekt stand.«
    Aber zwischen Peterl und Rohrdörfer herrschte tiefe gegenseitige Liebe. Und eines Tages verschwand Peterl. Wäre er gestorben, wäre das schlimm für Rohrdörfer gewesen. Das Verschwinden war, wie man sich ohne weiteres denken kann, schlimmer.
    Es war klar. Peterl war entweder überfahren worden, und das tote Peterl wurde von der herzlosen Straßenreinigung – ja, der Ausdruck ist nicht zu vermeiden – beseitigt, oder der Kater war einem der Katzenjäger zum Opfer

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