Der Meister
Hauberlechner Kurt nach der Hausnummer fragte, der in Attnang-Puchheim die Funktion des Ortsdeppen ausübte.
Unter der genannten Adresse traf Kyomori auf einen stark oberösterreichisch geprägten Herrn, einen sogenannten Mostschädel, der eben in einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit seiner Ehefrau begriffen war. Es hätte nicht viel gefehlt, und Kyomori wäre in die Handgreiflichkeit einbezogen worden. Er hielt das Ganze übrigens für einen Volkstanz und machte dies zum zentralen Punkt seiner Arbeit über Tofandor. Kyomori hatte auch – wie nicht bei einem Japaner! – heftig photographiert. Leider waren die meisten Bilder unscharf, aber immerhin war der erhebliche Unterschied zu jenem Bild zu erkennen, das Fräulein Bärlocher mitgebracht hatte. Bei neuerlicher Prüfung stellte sich denn auch heraus, daß es sich bei diesem Bild um ein Porträt Andreas Hofers gehandelt hatte.
Es versteht sich, daß durch die Bemühungen Kyomoris die Tofandor-Forschung einen hervorragenden Impuls bekam, besonders in Japan. Mehrere Arbeiten erschienen, bebildert mit Photographien teils des Hauses am Matschatscherweg in Eppan, teils jenes vom Kornweg in Attnang-Puchheim. Jeweils authentisch. Die Alte in der Kittelschürze in Eppan war das letzte Mal fuchsteufelswild geworden. »Sie wäre mir an die Gurgel gesprungen«, sagte ein Journalist, »wenn sie mehr Zähne gehabt hätte.«
Und merkwürdige Dinge geschahen. Davon, daß das exakte Geburtsdatum auftauchte, wurde schon berichtet. In Mainz wurde das Oboenquartett »So mildes Gold« op. 4 aufgeführt, offenbar also ein Frühwerk. In Oldenburg das Trio für drei Hörner »Tatarisch« op. 23 und in Klagenfurt ein Liederzyklus nach Gedichten von W. Sch. (wer ist oder war das?) für Bariton und Klavier op. 66 »Landkarte des Windes«. Was einzig auffiel, war die starke Uneinheitlichkeit der einzelnen Werke: das Oboenquartett in Vierteltönen, das Trio hochromantisch, der Liederzyklus atonal … und die erste Biographie erschien: Hans Günther Pustknochen, Der geheimnisvolle Einsiedler. Thremo Tofandor, sein Leben und Werk.
Kein Zweifel, die Erfindung war dem Meister entglitten, nicht aber der Meister seiner Erfindung. Er bekam vom Leipisius-Verlag den Auftrag, den jüngst – allerdings nur in maschinenschriftlicher Abschrift – aufgetauchten Briefwechsel Tofandors mit Hindemith aus den Jahren 1930 bis 1939 herauszugeben. Der Meister brauchte Geld. Eben war seine Emma mit Porsche zu Pferdezüchter Attilio durchgebrannt. Dringend brauchte er Geld. Also »fand« er noch dazu den Briefwechsel zwischen Tofandor und Ravel. Für den perfekt französisch schreibenden Altromanisten, der der Meister ja war, kein Problem.
Und in Würzburg wurde die erste Thremo-Tofandor-Gesellschaft e.V. gegründet. »Und der Meister «, sagte Carlone in der Madonna , »wurde nicht einmal zum Ehrenmitglied ernannt.«
Die Tofandor-Geschichte ging auch an Monsignore Rohrdörfer nicht vorbei, der sich ja für alles Musikalische stark interessierte. »Hat er nicht auch eine lateinische Messe geschrieben?« drängte er.
Diesmal ging Carlone allein ans Werk. Es war damals gerade eine minutiös gearbeitete Ausgabe der musikalischen Hinterlassenschaft Friedrich Nietzsches erschienen – »… auf was die Fachleut alles draufkommen, wenn man sie laßt« (Fritz von Herzmanovsky-Orlando). Jede Notenzeile, jeder Zettel bis hinunter zum kleinsten Fragment. Wußte man, daß Nietzsche immer wieder dazu angesetzt hatte, eine kanonische, lateinische Messe zu schreiben? Und zwar nicht – wie er behauptete – in seiner unschuldigen Jugend, sondern in späteren Jahren, und daß er die Arbeiten aufhob? Nein, es wußte niemand. Carlone bastelte aus den Fragmenten, die recht umfangreich waren, eine »Missa sacra« o. Op. (ohne Opus-Zahl) zusammen, für vierstimmigen Chor und Orgel sowie Solovioline. Es war eine mühevolle Arbeit, aber Carlone amüsierte sich so sehr dabei, daß er weder Zeit noch Mühe sparte: Nietzsche sang in der Maske eines Thremo Tofandor, den es nicht gab, in einer katholischen Kirche ad maiorem Dei gloriam – denn die Messe wurde tatsächlich aufgeführt. Bei einem Gottesdienst, zu dem Monsignore Rohrdörfer den gerade in der Stadt weilenden Dalai Lama eingeladen hatte.
»Der Bischof hat ihn nicht empfangen wollen«, sagte mir Rohrdörfer – es war beim leider letzten Abendessen im kleinen Kreis in der Wohnung am Rondell, das heißt: die immer noch schöne Helene Romberg,
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