Der Meister des Drakung-Fu
Ausdauer zahlten sich eben aus.
Seine transsilvanischen Nachbarn hatten tatsächlich Besuch bekommen. Dem Aussehen nach war es ein Asiate. Und den Zähnen und der blassen Haut nach ein Vampir. Warum der bissige Besuch draußen im Garten in einem Pavillon hausen musste, war ihm allerdings noch ein Rätsel. Vielleicht hatten die Tepes' nicht genug Platz im Haus. Vielleicht roch der Besuch. Vielleicht war es auch einfach so Brauch. Dirk van Kombast wusste zwar einiges über Vampire, aber wie transsilvanische Vampire asiatische Vampire in einer deutschen Reihenhaussiedlung empfingen, da kannte er sich leider nicht aus.
Dirk van Kombast trat an den Wohnzimmertisch. Er betrachtete einen Moment das Durcheinander aus Schrauben, Muttern, Rädchen, Schläuchen, Unterlegscheiben, Plastikstücken, Schienen und Werkzeugen, das auf und um den Wohnzimmertisch verteilt lag. Dann griff er entschlossen nach einem Kreuzschraubendreher.
Es war höchste Zeit, dass er seine neue Präzisionswaffe fertig bekam. Gerade jetzt, wo nebenan offenbar nicht nur ein Vampir, zwei Halbvampire und eine Vampirsympathisantin wohnten, sondern noch dazu ein bissiger Asiate im Garten zeltete.
Bevor Dirk van Kombast den Schraubendreher ansetzte, warf er einen kurzen Blick auf den digitalen Bilderrahmen. Die Pharmafirma, für die er als Vertreter arbeitete, hatte ihm den Bilderrahmen als Anerkennung für seine hervorragenden beruflichen Leistungen vermacht. Zusammen mit einer kleinen Gehaltserhöhung. Er war einer der besten und bestaussehenden Pharmavertreter ganz Deutschlands. Dass er auch einer der wagemutigsten und raffiniertesten Vampirjäger Deutschlands war, wusste keiner. Nur seine Mama.
Nun ja, seine Nachbarn hatten es mittlerweile vermutlich auch schon bemerkt.
Dirk van Kombast versank einen Moment im Anblick der Fotos, die sich auf dem digitalen Bilderrahmen abwechselten. Es waren Fotos von ihm selbst. Von seiner Mama. Und von ihm mit seiner Mama.
»Dieses Mal haben die blutrünstigen Ungeheuer keine Chance«, versprach er und sah seiner Mama, die gerade im Bilderrahmen erschien, fest in die Augen. Er hatte ihr schon seit Jahren Rache versprochen. Rache dafür, dass Vampire sie in den Wahnsinn getrieben hatten. Und dafür, dass sie seitdem in einer geschlossenen Anstalt sitzen und mit einem Mann, der behauptete, er käme vom Mars, Poker spielen musste.
»Dieses Mal«, fuhr Dirk van Kombast flüsternd fort, als würde er mit dem digitalen Bilderrahmen ein Geheimkomplott schmieden, »werden sie mir keinen Backstein an den Kopf werfen und mich nicht mit roher Gewalt außer Gefecht setzen.« Er fuhr sich über die Stelle am Kopf, wo noch immer eine kleine Beule von seinem letzten Einsatz gegen die Sargschläfer zu sehen war. Außerdem hatte er sich bei einem tollkühnen Sprung vom Rücken eines Riesenvampirs ein Bein angebrochen. Immerhin musste er keinen Gips mehr tragen.
»Dieses Mal habe ich die perfekte Waffe«, flüsterte Dirk van Kombast. Er wandte den Blick vom digitalen Bilderrahmen, fuhr liebevoll mit der Hand über einen dicken grauen Schlauch und lächelte. »Eine Waffe mit der Kraft eines Tornados und eine Idee mit Sogwirkung.«
Der Hobbybastler bückte sich zum Wohnzimmertisch und wollte sich gerade wieder seiner neuen Konstruktion zuwenden, als ihn ein Geräusch erstarren ließ. Es kam von oben. Dirk van Kombast blieb geduckt mit dem Kreuzschraubendreher in der Hand stehen und sah an die Decke. War jemand in seinem Schlafzimmer? Oder hatte nur der alte Kleiderschrank geknarrt, den er von seiner Mutter vorzeitig geerbt hatte?
Einen Moment spielte Dirk van Kombast mit dem Gedanken, die Polizei zu rufen. Doch was, wenn überhaupt kein Einbrecher in seinem Schlafzimmer war? Was, wenn dort nur eine Maus war oder –noch schlimmer – gar nichts? Dann stand der attraktive Pharmavertreter da wie ein jämmerlicher Waschlappen. Dabei war er alles andere als das. Nein, er musste der Sache selbst auf den Grund gehen.
Auf leisen Puschelhausschuhsohlen und mit eingezogenem Kopf schlich Dirk van Kombast die Treppe hoch. Er hielt den Kreuzschraubendreher vor sich und die Augen nach jeglicher Bewegung offen. Das war nicht einfach, denn in der oberen Etage brannte kein Licht. Sie wurde nur vom schwachen Schein des unteren Flurlichts erhellt. Doch würde Dirk van Kombast das Licht einschalten, würde das den Eindringling im Schlafzimmer sofort warnen. Er würde aus dem Fenster klettern, in der Tiefe der Nacht verschwinden und nur eine wehende
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