Der Meister des Drakung-Fu
Gewands. »Ich streue sowieso etwas Heimatsand aus der Wüste Gobi darauf.«
Daka, Silvania und Kerul hatten aus alten Tischdecken, Bettlaken, Vorhängen und einem Gartenpavillon eine Jurte gebaut. Es war die einzige Jurte in der ganzen Reihenhaussiedlung. Vermutlich sogar die einzige Jurte in ganz Bindburg. Die Vampirschwestern waren sehr stolz.
Sie waren auch sehr stolz auf ihren Gast. Sie hatten Besuch aus der Mongolei. Ein echter Vampgole war Tausende von Kilometern geflogen, um sie zu sehen. Womöglich war er der erste Vampgole überhaupt, der in Bindburg gelandet war. Das war fast so ein großer Schritt für die Vampirheit wie der erste Mensch auf dem Mond für die Menschheit. Daka fand das einfach nur zensatoi futzi und obermuffig cool. Silvania fand das unheimlich exotisch, aufwühlend und romantisch.
Beide Schwestern fanden, dass Kerul genauso verwegen, finster und umwerfend aussah, wie sie sich einen Vampgolen vorgestellt hatten: Haare – dunkelbraun und wirr wie bei einem Yak; Augen wie goldene Perlen; elfenbeinfarbene Haut, über die sich blassblaue Äderchen zogen wie ein feines Spinnennetz.
Kerul hatte den Vampirschwestern und ihren Eltern von seinem Leben in der mongolischen Steppe erzählt, von Ulan-Vampor, von seiner Mutter, von Dschingbiss Zhan und von den Drakung-Fu-Prüfungen. Gebannt hatten sie gelauscht. Herr Tepes hatte vergessen, seinen Karpovka zu trinken. Frau Tepes' nachtblaue Augen waren immer größer geworden, Silvanias Ränder um die Augen immer röter. Daka, die unentwegt an ihren Fingern geknabbert hatte, hatte sich vor Aufregung mit einem Eckzahn ein Loch in den Fingernagel gebissen.
Eins war den Tepes' danach klar: Sie würden Kerul für unbestimmte Zeit Asyl gewähren. Ob virtuell verwandt oder nicht. Er musste Kräfte sammeln. Dann würden sie zusammen eine Lösung finden, wie es weiterging.
»Gibt es hier eine Klingel?«, kam eine Stimme von draußen.
Daka, Silvania und Kerul steckten den Kopf aus der Jurte.
Davor standen Helene und Ludo. Sie wollten den Kopf gerade in die Jurte stecken.
Die Vampirschwestern traten aus der Jurte und begrüßten die beiden mit einer Kopfnuss.
»Das sind Helene und Ludo«, sagte Silvania an Kerul gewandt. »Und das ist unser virtueller Zwilling Kerul«, fügte sie hinzu.
»Deine Nase ist doch gar nicht so groß«, sagte Helene.
Kerul schielte auf seine Nase. Dann sah er Helene fragend an.
»Kerul ist ein echter Vampgole«, hauchte Daka verzückt.
Ludo musterte Kerul argwöhnisch. »Hast du heute schon etwas gegessen?«
Kerul starrte Ludo einen Moment an. Dann wanderte sein Blick zu Helene. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Er schluckte. Er schnupperte.
Silvania beobachtete ihren virtuellen Zwilling ängstlich.
»Helene und Ludo sind Freunde, keine Mahlzeit!«, stellte Daka klar.
Helene und Ludo nickten schnell.
Kerul verzog das Gesicht. »Sie riechen sowieso nicht besonders lecker.«
»Wie bitte?« Helene machte ein enttäuschtes Gesicht.
Ludo roch unter seinen Achseln.
»Vielleicht hat mein Geschmackssinn unter dem langen Flug gelitten.« Kerul zuckte mit den Schultern. »Oder die Menschen hier haben ein anderes Aroma. Allerdings fand ich Menschen noch nie so richtig lecker.« Kerul sah nachdenklich auf Helenes Halsschlagader.
Auf einmal öffnete sich im Nachbarhaus leise die Terrassentür. Ein großer, schlanker Mann trat hinaus in die Dunkelheit. Sein welliges Haar schimmerte golden im Mondlicht. Er legte die Handflächen vor dem Körper aneinander und stellte seinen rechten Fuß an die Innenseite seines linken Oberschenkels. Beide Füße steckten in hellblauen puscheligen Hausschuhen. Der Mann atmete tief ein und schloss die Augen. Zumindest tat er so. Wenn man sehr genau hinsah, konnte man erkennen, dass er unter halb geöffneten Lidern in den Nachbargarten schielte.
»Vor dem da musst du dich in Acht nehmen«, flüsterte Silvania ihrem mongolischen Gast zu und deutete mit dem Kopf auf die Terrasse vom Nachbarhaus.
Daka nickte. »Der ist s-e-h-r neugierig.«
»Und s-e-h-r durchgeknallt«, fügte Helene hinzu.
»Aber auch s-e-h-r gefährlich.« Ludo machte ein ernstes Gesicht.
Kerul musterte den Mann nebenan. Und seine Hausschuhe. Er runzelte die Stirn. »Wenn ihr meint.«
Bastelstunde
D irk van Kombast schloss die Terrassentür hinter sich und rieb sich die Hände. Hatte er es doch gewusst! Hatte er mal wieder den richtigen Riecher gehabt. Jahrelange Übung, ein geschulter Blick und unbeirrbare
Weitere Kostenlose Bücher