Der Meister des Drakung-Fu
Drakung-Fu-Meisterschaft, dann ein Langstreckenflug. Das hielt kein noch so zäher Vampgole durch.
Und dann war da noch etwas, das an Keruls Nerven zehrte: Etwas war ihm aus der Mongolei gen Westen gefolgt. Es war geheimnisvoll und dunkel. Kerul hatte es genau gespürt, jedoch nie gesehen. Immer, wenn er sich umdrehte, war er allein in der Luftschicht. Dabei war Kerul sich sicher, dass ihn ein Lufthauch gestreift hatte, dass er ein Atmen gehört hatte, dass ihm jemand auf den Fersen war. Er fühlte sich von wachsamen Augen beobachtet. Tagsüber hörte er ein fremdes Schnarchen, doch kaum wollte er danach suchen, verstummte es.
Folgte ihm nur ein komischer scheuer Vogel, der seinen Schwarm verloren hatte und nun bei ihm Anschluss suchte? Oder war es ein Wesen der Finsternis wie er? Aber wieso folgte es ihm? Wieso gab es sich nicht zu erkennen? Was auch immer ihm folgte, es machte Kerul Angst und ließ ihn noch schneller fliegen.
Zum Glück hatte er es bald geschafft. Am Horizont sah er die Lichter einer Großstadt aufleuchten. Das musste Bindburg sein. Dort wohnten seine Freunde. Seine virtuellen Zwillinge. Vor Freude und Erleichterung stiegen Kerul Tränen in die Augen und er musste blinzeln. In wenigen Minuten würde er bei Silvania und Daka sein. Er hatte die beiden Mädchen noch nie in Wirklichkeit gesehen. Er kannte sie überhaupt erst seit ein paar Tagen. Trotzdem fühlte er sich ihnen näher als den meisten Bewohnern von Ulan-Vampor. Sie würden Kerul nicht verstoßen.
Kerul biss die Eckzähne aufeinander, nahm seine letzte Kraft zusammen, beschleunigte noch einmal und flog direkt auf den nördlichen Rand der Großstadt zu. Die Lichter der Stadt leuchteten unter ihm wie tausend Edelsteine am Boden einer Höhle. Doch Kerul hatte den Blick stur geradeaus gerichtet. Er konnte bereits die Reihenhaussiedlung erkennen, in der die Mädchen mit ihren Eltern wohnten. Keruls Arme zitterten vor Erschöpfung. Seine Beine schlotterten. Nur mit Mühe gelang es ihm, auf den letzten Flugmetern die Augen offen zu halten. Seine Ohren dröhnten, sein Mund war trocken.
Gleich, gleich, gleich hatte er es geschafft.
Auf einmal schoss von rechts wie aus dem Nichts ein gewaltiges dunkles Flugobjekt auf Kerul zu. Es flog mit Höchstgeschwindigkeit. Kerul konnte nicht mehr ausweichen.
»AAAAUUU!«, schrie Kerul, als es auf ihn krachte.
»FUMPFS!«, rief das unbekannte Flugobjekt.
Dann wurde alles schwarz.
Besuch aus
dem Osten
E lvira Tepes und Mihai Tepes standen ratlos vor dem Sofa.
Auf dem Sofa lag ein Junge, der höchstens ein Jahr älter war als ihre Töchter. Er trug derbe Schuhe, auf denen sich feiner rotbrauner Sand abgelagert hatte. Sein nachtblaues Gewand reichte bis über die Knie und war mit einem breiten schwarzen Gürtel zusammengebunden. Seine dunkelbraunen Haare standen wie die Knochenplatten auf einem Dinosaurierrücken ab. Seine Haut war blass und aus dem leicht geöffneten Mund ragten vier spitze Eckzähne heraus. Er hatte die Augen geschlossen und atmete flach.
»Du hast einen asiatischen Jungvampir umgeflogen«, sagte Elvira Tepes leise.
Mihai Tepes verzog das Gesicht. Der Lakritz-schneckenschnauzer wackelte. »Es war ja keine Absicht. Normalerweise ist der Luftraum über unserem Haus nicht so dicht beflogen.«
»Gerade wenn man eine Strecke besonders gut kennt, passieren die meisten Unfälle«, erwiderte Frau Tepes.
»Mag sein.« Herr Tepes streckte die Brust heraus. »Allerdings hatte ich Vorfahrt.«
»Und deswegen haben wir jetzt einen bewusstlosen Vampir auf dem Sofa liegen.« Frau Tepes legte den Kopf schräg und musterte den fremdländischen Besucher. »Was machen wir denn jetzt?«
Herr Tepes streckte die Hand aus und stupste den Gast mit dem Zeigefinger in die Wange. Er rührte sich nicht.
»Soll ich ihm einen feuchten Lappen auf die Stirn legen? Oder Riechsalz unter die Nase halten?«, fragte Frau Tepes.
»Gumox. Menschenmedizin bringt hier nichts. Das da«, Herr Tepes zeigte auf den Jungen, »ist eindeutig ein Vampir. Und was die Lebensgeister eines Vampirs wieder weckt, ist Blut, Blut und nochmals Blut ...«, Herr Tepes überlegte kurz, »... und vielleicht ein Tröpfchen Karpovka.« Der Karpovka war ein vampwanisches Nationalgetränk. Man sagte ihm heilende, erheiternde und auch beflügelnde Wirkung nach.
Elvira Tepes nickte. »Du hast recht. Versuchen wir es mit Blut.«
Schon zog ihr Mann ein Röhrchen mit Blut aus der Westentasche. Es war eine Blutprobe, die er sich aus dem
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