Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
langen Stillsitzen, an Land. Durch eine dichte Menschenmenge drängeln wir uns vorwärts, bis wir vor einem dicken Absperrseil und einem klotzigen Rotrock stehen. Baker überreicht ihm die beiden Pergamente, die ihm gestern John Hawkins ausgehändigt hat.
»Der ehrenwerte Sir Adam Dreyling of Wagrain, Geschützgießer Ihrer Majestät, und der ehrenwerte Master Matthew Baker, Schiffsbaumeister Ihrer Majestät«, entziffert der Mann mühselig.
Auf dem Pier eilt fröhlich winkend George Clifford auf uns zu, heute ganz in rosa Atlas gehüllt, hilft uns unter dem kurz hochgehobenen Seil hindurch, geleitet uns über den freien Platz auf die G OLDEN H IND ZU .
»Eines muß man Francis Drake lassen«, plauderte er munter, »wenn er heute hingerichtet wird, dann wird es eine Hinrichtung erster Klasse!«
»Hinrichtung? Kapitän Hawkins sagte gestern aber …«
»Ich weiß, ich weiß. Das ist die eine Möglichkeit. Aber die andere Möglichkeit – die hört Master Hawkins nur nicht so gern – besteht durchaus darin, daß man Drake als Piraten – und ein Pirat ist er, da gibt es gar keinen Zweifel – heute vor großem Publikum den Kopf vor die Füße legt oder ihm am Galgen den Hals langzieht. Gestern abend hat die Königin immerhin noch mal dem spanischen Gesandten feierlich versichert, daß der Pirat Francis Drake, der die Küsten des spanischen Kolonialreiches in Südamerika so schamlos geplündert habe, heute von ihr persönlich vor allem Volk hier in Deptford für seine Taten zur Rechenschaft gezogen würde.«
Für einen Augenblick nimmt Lord Cumberland seinen Hut ab, fährt leiser fort:
»Was immer unser königliches Orakel damit gemeint ’haben mag … Elizabeth ist in einer verzwickten Lage: Belohnt sie den Piraten Drake in irgendeiner Form, wird das empörte Aufheulen Spaniens durch ganz Europa schallen. Und bestraft sie den Volkshelden Drake wie auch immer, so geht ein mindestens ebenso lauter Aufschrei durch ihr eigenes Land.«
»Und was ist mit dem Doughty-Clan?« fragt Baker leise zurück. »Die Inszenierung in Plymouth ließ an Gehässigkeit wenig zu wünschen übrig. Der Bruder des Getöteten soll Klage gegen Drake erhoben haben …«
»… und ist seit Wochen spurlos verschwunden, aus dem Verkehr gezogen. Von daher wird es keine Klage geben! Nun, Freunde, wir werden ja sehen, was der Nachmittag bringt«, antwortet Clifford und stülpt sich den Hut wieder auf die gesalbten Locken. »Kommt mit aufs Schiff! Der Bezwinger der Ozeane erwartet Euch.«
Ich erkenne die G OLDEN H IND kaum wieder, als ich ihr Deck betrete. Damals in Plymouth war sie kaum mehr als ein Halbwrack, von dessen Rumpfplanken niemand recht wußte, weshalb sie überhaupt noch zusammenhielten. Jetzt erstrahlt das Schiff nicht nur in neuer Farbe und Takelage, von allen Masten und Spieren flattern bunte Banner und Wimpel, über das Deck sind dicke Teppiche gebreitet, auf der Kuhl ist eine lange Tafel aufgebaut, eingedeckt mit weißem Damast, schwerem Silber, kostbarem Kristall, üppigen Blumengestecken und hauchzartem chinesischem Porzellan.
Unübersehbar thront in der Mitte ein silberner Tafelaufsatz: Auf den Seiten eines mehrfach abgestuften Sockels sind die Szenen der Fahrt und der Taten Drakes eingraviert. Ich erkenne die Abreise aus England, die Niederschlagung der Meuterei Doughtys, die Umrundung der Südspitze Amerikas, der Kampf mit der C ACAFUEGO , die Inbesitznahme von Nova Albion. Auf dem über eine Elle hohen Sockel steht kein anderer als Francis Drake in großer Pose, die Linke in die Hüfte gestemmt, die Rechte besitzergreifend auf einen Globus gelegt, den Blick hinaus gerichtet in die Weite.
Zuvor hatte ich Francis Drake nur einmal, in Plymouth, während des großen Spektakels gesehen, und das mehr oder weniger flüchtig. Aus der Nähe betrachtet, ist der große Pirat und Weltumsegler keineswegs so beeindruckend, wie er sich selbst gerne darstellen läßt. Klein, untersetzt, krummbeinig, könnte er in seinem weiß-goldenen Brokatwams und durch die Tatsache, daß er sich auf einer Treppenstufe aufgebaut hat, um seine mangelnde Körpergröße wenigstens etwas auszugleichen, fast lächerlich wirken, wären da nicht zugleich die funkelnden Augen, der halb unter dem Schnurrbart verborgene schmallippige, harte Mund, die Ausstrahlung von Kühnheit, Habgier, Rücksichtslosigkeit und Gewalttätigkeit, verborgen unter einem hauchdünnen Firnis von Höflichkeit und Liebenswürdigkeit.
Strahlend begrüßt er Matthew, verbreitet
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