Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
sich überschwenglich über die G OLDEN H IND . Doch die Begeisterung, die Wärme, mit der Drake über sein Schiff spricht, sind echt und ungekünstelt. Auch meine Hände werden ausdauernd geschüttelt:
»Willkommen, willkommen an Bord, Sir Adam! Onkel John hat mir bereits von Euren Kanonen berichtet. Die muß ich sehen, muß sie haben!«
Onkel John Hawkins, der an Deck der G OLDEN H IND offenbar den Zeremonienmeister spielt, nimmt mich unter seine Fittiche, stellt mich den Anwesenden vor, und bald schon schwirrt mir der Kopf vor Namen und Titeln. Einige der Herren habe ich damals in Chatham beim Stapellauf der S AMPSON kennengelernt.
Ein dumpfer Knall, etwa eine Meile flußabwärts, läßt alle Köpfe herumfahren. Über den Türmen, Dächern und Kaminen des königlichen Schlosses von Greenwich wirbelt Pulverqualm auf.
»… fünf, sechs, sieben …«, zählen wir die Schüsse mit.
»… zwölf, dreizehn, vierzehn … neunzehn, zwanzig, einundzwanzig!«
»Die Königin!« brüllt Francis Drake mit überschnappender Stimme. Und fast gleichzeitig beginnen die Kanonen der G OLDEN H IND , den 21schüssigen Salut zu erwidern.
Als sich die weißen Pulverschwaden über dem Schiff und dem Fluß langsam wieder auflösen, bietet sich uns ein überwältigendes Bild: Wie ein Schwarm exotischer Vögel zieht mit gemächlichem Riemenschlag eine Schar von Booten und Barken, alle geschmückt mit bunten Bannern, Fahnen, Standarten und Wimpeln, besetzt mit kostbar gekleideten und geschmückten Damen und Herren die Themse herauf. Fanfaren schmettern, Trommeln poltern, Dudelsäcke quäken.
Mittelpunkt der Prozession ist eine teilweise mit Gold beschlagene Staatsbarke, an ihrem Heck die Königsflagge mit den Lilien, Löwen, Harfe und Drachen so schwer bestickt, daß sie nicht mehr flattern oder wehen, sondern nur noch mühsam flappen kann. Auf ihrem Deck ist unter einem seidenen Baldachin ein Thron aufgebaut, und auf diesem Thron Ihre Majestät, Elizabeth, Königin von England, Frankreich und Irland. Reglos wie eine Puppe sitzt sie da in ihrer in grün und weiß, den Tudorfarben, gehaltenen, von Perlen und Edelsteinen üppig besetzten Robe, eine Krause aus hauchzarten Spitzen um den Hals, im ergrauenden, rötlichblonden Haar eine kleine, juwelenbesetzte Krone.
»Über 2000 solcher Prunkroben soll man in ihren Kleidertruhen gezählt haben«, bemerkt Lord Cumberland.
Mit Francis Drake an der Spitze eilen wir von Bord der G OLDEN H IND hinab zu der Anlegestelle der farbenfrohen Flottille.
Als die Staatsbarke anlegt, erhebt sich Elizabeth, betritt an der Hand Lord Leicesters das Ufer.
»Lang lebe die Königin!« brüllt die zuschauende Menge begeistert, während Francis Drake auf die Knie niedersinkt und wir anderen tief unsere Rücken beugen.
Nachdem uns gnädig das Zeichen gegeben wurde, uns wieder aufrichten zu dürfen, trippelt die Königin, geleitet und gestützt von Leicester auf die G OLDEN H IND ZU , gefolgt von dem Kometenschweif ihrer Hofdamen und Höflinge, besteigt, von ihrem an den Hüften breit ausgepolsterten Reifrock sichtlich behindert, einigermaßen mühsam das Schiff, läßt sich auf einem reich geschnitzten und vergoldeten Stuhl nieder.
Während wir nun laut, jeweils von einem Herold angekündigt, Ihrer Majestät und den Herren ihres Gefolges vorgestellt werden, habe ich Zeit, mir die wichtigsten Gesichter einzuprägen.
Den Earl of Leicester habe ich damals beim Probeschießen in Spitalfield gesehen. Gleich daneben stehen seine beiden schärfsten Konkurrenten, Robert Devereux, Earl of Essex, ein lockiger Hübschling mit dünnem Schnurrbärtchen, und der geckenhaft aufgeputzte Sir Walter Raleigh. Francis Bacon hält sich etwas abseits. Der ebenso hochgebildete wie boshafte Lordsiegelbewahrer, dessen Gesicht stets so aussieht, als lächle er über einen Scherz, den nur er kennt, hatte über Walter Raleigh gelästert, das neue Juwel in der Krone der Königin leuchte nicht, sondern glimme allenfalls wie ein fauliges Stück Holz.
»Der höchst ehrenwerte Matthew Baker, Sieur de Rochester, Doktor des Trinity Colleges in Cambridge, Erster Schiffsbaumeister der Königlichen Werften Ihrer Majestät«, kündigt der Herold meinen Freund an. Lord Warwick, der mir freundlich zunickt, erkenne ich ebenso im Gefolge der Königin wie Lord Henry Seymour und den Lordkanzler, Sir Christopher Hatton. Sie alle hatten sich mit ihrem Geld am Bau der G OLDEN H IND beteiligt. Auch ein paar Gesandte und Botschafter haben sich dem Zug
Weitere Kostenlose Bücher