Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
Der Raum, einer der Lords’ rooms, der besten Logen, wie ich von George Clifford weiß, ist schmal aber überraschend tief. Neben der Türe sind auf einem Tisch reichlich Wein und Speisen aufgebaut. Auf den etwa ein Dutzend gepolsterten Sitzen haben sich zwei Gruppen an Personen bereits niedergelassen. Die Zunft von drei der Anwesenden ist an Schminke und tiefsten Dekolletes unschwer zu erkennen.
»Ich bin froh, daß Ihr den Einfall mit dem Theaterbesuch hattet«, raune ich Clifford ins Ohr.
Der antwortet diskret hinter vorgehaltener Hand:
»Zu mehr als einer gigantischen Fresserei, Sauferei und anschließenden Massenorgie irgendwo in London reicht die Phantasie unseres verehrungswürdigen Gastgebers, Sir Walter, eben nicht aus.«
»Und wer sind die?« frage ich und deute unauffällig auf die beiden anderen Personen, die deutlich von den Huren getrennt sitzen und in schwarze Masken und bodenlange schwarze Mäntel gehüllt sind.
»Eine Überraschung.«
Nach vorne ist der Raum offen, und ich trete neugierig an die niedere Holzbalustrade. Ein ohrenbetäubender Lärm schlägt mir entgegen.
»Heiße Würstchen! Heiße Würstchen!« – »Frische Brötchen! Frische Brötchen!« – »Bier! Frisches Bier!« – »Pasteten!« – »Gegrillte Hähnchen!« – tönen schrill die Rufe der fliegenden Händler herauf. Mit ihren Kübeln, Tabletts und Körben schieben sie sich durch die bereits dichtgedrängte, bunte, schwatzende und lachende Menschenmenge von Soldaten und Marktweibern, von Fuhrleuten, Schiffern, Handwerkern, Hausfrauen, Lehrbuben und Huren, satten Bürgern und Lumpenpack, die das offene Rund des Innenhofes fällen.
»Die Groundlings«, bemerkt George Clifford, der neben mich getreten ist, »die da drunten ihren Penny für einen Stehplatz bezahlen, sind ein bunter Querschnitt durch Londons Bevölkerung – laut, unmanierlich und mit weit mehr unfehlbarem Theaterverstand begabt als die feinen Damen und Herren in den Logen ringsum.«
Ja, mir fällt ebenfalls auf, daß man sich drunten bereits über Schauspieler, Stück und Autor erhitzt, während die Theaterbesucher in den drei übereinander angeordneten Stockwerken der Logen, die das Mittelrund umschließen, eher blasiert und gelangweilt wirken. Und noch etwas fällt mir auf: Der alles überlagernde Blutgeruch ist hier drinnen noch strenger als vor dem Gebäude.
»Ursprünglich war T HE R OSE wie das B EARE B ARRING nebenan eine Arena, wo man Bären, Stiere und Kampfhunde aufeinanderhetzte. Lord Pembroke hat das Gebäude für seine Schauspielertruppe zum Theater umbauen lassen, nach dem Vorbild von T HE T HEATRE , das James Burbage vor zehn Jahren als erster im Norden Londons auf Kirchengrund errichtet hat.«
»Auf Kirchengrund?«
»Der liegt nicht in der Jurisdiktion des Bürgermeisters von London und seines puritanischen Magistrats. Deshalb stehen ja auch das R OSE und das S WAN T HEATRE , die Tierhatzarenen samt den zahllosen Spelunken, Glücksspielhallen und Hurenhäusern ringsum nicht auf Londoner Boden, sondern auf diesem Ufer der Themse. Southwark, oder kurz the Bankside, liegt auf dem Territorium des Earl of Surrey.«
Von der Rückseite des hohen Runds ragt in Kopfhöhe der Groundlings eine viereckige Plattform in den Innenhof.
»James Burbage hat diese Art des Bühnenhauses erfunden«, erklärt mir George Clifford. »Die Fläche, auf die Ihr da hinabschaut, ist die Hauptbühne. Sie kann eine Straße, ein Schlachtfeld oder eine große Halle sein. Hinter dem Vorhang, der sie an ihrer Rückseite abschließt, liegt die Hinterbühne, ein etwa drei Klafter tiefer Raum: ein Zimmer, der Teil eines Thronsaales, ein Gefängnis. Seht Ihr die Holzdeckel im Boden der Hauptbühne? Durch sie kann man hinuntersteigen in die Hölle. Dort hinunter geht es in einen Keller oder ein Grab. Mit Rauchwolken und Feuerwerksknall können auch Teufel oder Geister aus ihnen hervorschießen und die Zuschauer erschrecken. Der Balkon über der Hinterbühne kann beispielsweise eine Festungsmauer mit Brustwehr und Zinnen sein. Während die Belagerer von der Hauptbühne her angreifen, kämpfen die Verteidiger von dort oben herab. Freilich kann es auch ein Balkon sein, auf dem in nächtlicher Stille die junge Schöne erscheint, um den Liebesschwüren ihres Anbeters zu lauschen. Rechts und links des Balkons sitzen die Musiker auf den beiden kleinen Emporen, und hinter dem Balkon liegt der tiring room, das Ankleidezimmer für die Schauspieler sowie das Depot für Kostüme und
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