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Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)

Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)

Titel: Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes K. Soyener , Wolfram zu Mondfeld
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Blut, Mord und Tod?« frage ich ihn.
    »Weil es die Menschen fasziniert. Für sich selbst will zwar jeder seine ruhige Beschaulichkeit, aber nichts ist schöner und aufreizender als die Katastrophe beim Nachbarn. Laß einen guten Menschen Almosen an die Armen verteilen – und keiner schaut hin. Legt einen Verletzten oder Toten auf die Straße, und die Leute sammeln sich um ihn wie die Krähen um ein Aas. Kennt Ihr sie nicht selber, diese Neugier, diesen wohligen Schauer, der einem über den Rücken läuft, wenn man Zeuge eines Unglücks, einer Gewalttat, einer Katastrophe wird oder auch nur, wenn man von ihr hört?«
    Ich gebe es nicht gerne zu, aber der junge Mann hat unbestreitbar recht:
    »Euer Stück über Richard III., auch sein Geheimnis ist dann zweifellos jener wohlige Schauer, wenn man den schurkischen König beobachtet, wie er sich auf den Thron hinaufmordet …«
    »Es hat Euch gefallen, Sir Adam?«
    »Das Beste, was ich je auf einer Bühne gesehen habe!« gestehe ich freimütig.
    Zu unserer Linken ragt jetzt der mächtige Bau der St.-Pauls-Kirche mit seinem noch immer unfertigen Turm in den nächtlichen Himmel.
    »Dort begraben zu werden ist der Traum eines jeden Engländers«, stellt Will Shakespeare fest. »Nur den allerverdientesten Dienern dieses Landes öffnen sich nach ihrem Tod die Portale von St. Paul. Denen, die es sind – und denen, die wir dazu machen!«
    »Wir?«
    Der junge Mann lacht vergnügt:
    »Wir – die Dichter! Auf der Bühne und in den Köpfen des Volkes sind wir Götter. Wir sind es, die Schurken schaffen und Helden küren. Wir sind es, die Gestalten unserer Phantasie so viel Leben einhauchen, daß sie lebendiger sind als viele, die auf zwei Beinen über unsere Erde stapfen! Wir sind es, die die Geschichte schreiben, nicht irgendwelche Chronisten in ihren verstaubten Archiven! König Richard III. wird dank meines Stückes in die Köpfe der Menschen eingehen als der finstere Schurke, Bösewicht und Mordbube. In Wirklichkeit war er nicht schlimmer als die Mehrzahl aller anderen englischen Könige auch. Im Gegenteil: Ihm war es zu verdanken, daß der Jahrhunderte dauernde Bürgerkrieg zwischen den Häusern Lancaster und York endlich ein Ende fand.«
    »Aber weshalb habt Ihr ihn dann so schlimm geschildert?«
    »Zum einen natürlich um der Bühnenwirksamkeit willen. Und zum anderen war er der letzte Plantagenet. Der Sieger im Krieg mit ihm, Henry Earl of Richmond, der spätere König Henry VII., ist kein anderer als der Großvater Königin Elizabeths. Mein Kopf ist mir lieb genug, um nicht zu sagen, daß der Earl of Richmond ohne jede Not, nur aus Machtgier und Ehrgeiz in einem endlich befriedeten Land erneut einen Bürgerkrieg gegen den rechtmäßigen Herrscher angezettelt hat und daß auf sein Konto mindestens ebenso viele Tote gehen wie auf das König Richards!«
    Ich habe Will Shakespeare so fasziniert zugehört, daß ich kaum noch auf unsere Umgebung geachtet habe. Jetzt bleibe ich ruckartig stehen. Vor uns, bei Old Bailey, zwischen Ludgate und Newgate ist ein Tumult ausgebrochen. Männer schwingen Fackeln. Von den Stufen eines Gerichtsgebäudes sehe ich einen katholischen Geistlichen, unverkennbar an seiner Tonsur, armefuchtelnd auf die Menge einreden.
    Rufe werden laut: »Es lebe Maria, Königin von England und Schottland!« und: »Nieder mit der Bastardkönigin Elizabeth!« und: »Tod allen protestantischen Ketzern!« Und nirgendwo auch nur ein einziger Wachsoldat, der gegen den Tumult einschreiten könnte.
    Will und ich schauen uns entsetzt an: »Was nun?«
    »Dreht Euch ganz langsam um, Sir Adam, und geht ganz ruhig zurück!« weist mich mein Führer an.
    Ich folge seinem Rat, bis wir außer Sichtweite sind, dann rennen wir los. An Eingang der Lombard Street kommen wir keuchend wieder zum Stehen:
    »Und jetzt?«
    »Wir könnten zurück über die London Bridge und am anderen Ufer bis Barn Elms gehen und dort versuchen, ein Boot zu bekommen«, schlage ich vor. »Oder wir versuchen durch eines der Tore im Norden …«
    Doch Will rät mir energisch ab:
    »Wenn man vor Old Bailey bereits Maria Stuart als Englands Königin ausrufen kann, ohne daß sich eine Wache rührt, wer weiß, wie es dann auf der London Bridge und an den anderen Toren aussieht?«
    Ich schaue mich gehetzt um. Ich sitze in einer Falle – einer großen Falle, zugegeben, aber nichtsdestoweniger in einer Falle!
    »Im Tower könnte ich zweifellos Schutz finden«, überlege ich.
    »Und wie manch anderer für immer

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