Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
mit einzelnen Schneeflocken, hat längst unsere schweren Lodenmäntel durchweicht, uns bis auf die Haut durchnäßt. Die Beine der Pferde sind bis zu unseren Stiefeln herauf mit Schlamm beschmiert, aber ich kenne keine Gnade. Weiter, weiter! Die fast menschenleeren Straßen von Bromley und Lewisham hallen von unserem Hufschlag wider.
Am Donnerstag vor drei Wochen, am 9. Februar, hatte die Meldung Mayfield erreicht, daß das Haupt der Schottenkönigin Maria Stuart unter dem Beil des Henkers gefallen war. Die Bevölkerung hatte die Nachricht mit Freudenfeuern und ausgelassenen Festen gefeiert.
Dann, ein paar Tage später, waren die Meldungen durchgesickert, daß Königin Elizabeth getobt habe, als ihr Lord Burghley den Bericht vom Ende ihrer Erzrivalin überbrachte. Gewiß, jeder einigermaßen Eingeweihte hatte damit gerechnet, daß die Königin einen entsprechenden Theaterdonner herniedergehen lassen würde, um ihre Unschuld an dem Unvermeidbaren vor der Welt zu demonstrieren. Doch, weshalb auch immer, Blitz und Donner, die auf Burghley herniedergefahren waren, müssen unglaublich echt gewirkt haben - vielleicht sogar echt gemeint gewesen sein?
Und dann, heute in aller Frühe, erreichte mich die Nachricht, man habe alle Schuld und allen echten oder gespielten königlichen Zorn ausgerechnet auf meinen Freund William Davison abgeladen. Vor die Sternkammer, das höchste Gericht des Landes, habe man ihn geschleift, ihn zu einer horrenden Geldstrafe verurteilt, ihn nun im Tower eingekerkert, wo er auf sein Todesurteil warte!
Todesurteil! Hinrichtung! Was das in England bedeutet, das habe ich im Oktober letzten Jahres nur allzu nahe miterleben müssen! Als man Babington und seine Gefährten hinrichtete, wurde ich höchst nachdrücklich als Ehrengast und Zeuge eingeladen und fand mich neben anderen »Opfern« von Anschlägen wie Samuel Owen auf einem Ehrensessel direkt oben auf dem Blutgerüst im Gefolge des Lordkanzlers und Oberrichters von England, Sir Thomas Bromley, wieder.
»Hängen und vierteilen«, lautete das Urteil.
Auch in Innsbruck hatten wir von Zeit zu Zeit, wie jeder gute Bürger, Hinrichtungen auf dem Köpfplatzl beiwohnen müssen. Doch gegenüber dem, was ich auf Tower Hill erleben mußte, erscheinen mir die deutschen Henker mit ihrem Hängen und Rädern, Verbrennen, Köpfen und Spießen geradezu Menschenfreunde zu sein. Zunächst wurden die Verurteilten zwar mit einem Strick um den Hals am Galgen hochgezogen, doch ehe sie das Bewußtsein verloren, wieder abgeschnitten, nackt ausgezogen und auf eine Art Tisch gefesselt. Bei vollem Bewußtsein schnitt ihnen der Henker sodann langsam Hände und Füße, Arme und Beine ab, ehe er den Unglücklichen, nach über einstündiger Tortur, endlich die Leiber aufschlitzte und die Gedärme herauszerrte, um ihnen schließlich das Herz herauszuschneiden und den Kopf abzuhacken, der an der London Bridge aufgespießt zur Schau gestellt wurde.
Daß möglicherweise nun auch auf meinen Freund William derlei Torturen warten, läßt mich meinem erschöpften Pferd erneut die Sporen in die Flanken stoßen. Im Galopp preschen wir über die London Bridge, biegen nach rechts ab, hin zum Tower.
Ich bin unverzichtbar für England. Und ich bin entschlossen, diese Unverzichtbarkeit bis zum letzten für William einzusetzen. Ich werde Bromley, Walsingham, Burghley, die Königin bestürmen. Ich werde sie, wenn es sein muß auf den Knien, um Gnade bitten – und wenn das nicht helfen sollte, mit der Drohung, kein einziges Geschütz mehr zu gießen, bis das Leben meines Freundes gesichert ist und ihm zumindest erträgliche, ehrenvolle Haftbedingungen zugestanden werden. Zuvor jedoch will ich William, wenn dies irgend möglich ist, sehen und sprechen, ihn trösten, ihm Mut machen, ihm sagen, daß er nicht alleine ist, daß ich alles, aber auch alles tun werde, um ihn zu retten!
Vor dem Lions Tower, der das erste Tor auf der Stadtseite des breiten Grabens bewacht, zügeln wir unsere Pferde. Ich sitze ab, fordere von dem Soldaten, der an der kleinen Mannpforte neben dem geschlossenen Haupttor Wache hält, sofort zum Burghauptmann gebracht zu werden. Auch mit dem Sergeant der Wache, der sich nach wenigen Minuten zu uns gesellt, um nach dem rechten zu sehen, lasse ich mich auf keine Diskussionen ein, trage nur nochmals heftig meine Forderung vor – und habe Erfolg.
Wenig später stehen wir am Eingang des Kommandantenwohnhauses, einem schmalen, jedoch freundlichen Fachwerkbau mit breiten
Weitere Kostenlose Bücher