Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
mit schnellen Schritten vier Stufen die Arkadentreppe am Totenhäusl hinauf.
Man hat die toten Knappen vor der Kapelle in Reihen abgelegt, die Köpfe zum Vorplatz der Kirche hin, um alle Leichen einigermaßen trocken zu bekommen. Der Platz fällt zur Mitte hin leicht ab - zum besseren Ablaufen des Regenwassers. So kommt es, daß blutiges Lungenwasser vermischt mit den Magensäften der Toten sich in Rinnsalen über die offenen Münder und Nasenlöcher den gleichen Weg bahnt. Die Kälte des Bodens bringt diese rot und milchigweiße Flüssigkeit nach wenigen Fuß zum Stehen, gefriert sie zu Kristallen.
Nur die Fackeln in den unruhigen Händen der Bergleute lodern heiß, wie auch das Feuer in den Köpfen der Knappen heiß lodert, versteckt hinter eisigen Gesichtern.
Pfarrer Stockbauer beginnt den Verunglückten die Letzte Ölung zu spenden, kniet neben jedem der verstümmelten Körper nieder, segnet ihn mit dem Zeichen des Kreuzes, salbt ihn mit dem heiligen Öl, spricht über ihm die rituellen Gebete.
Georg Scherer, der Jesuit, blickt unterdessen über die toten Knappen, hebt die Hand zum Segen, nimmt die Gemeinde mit kirchlichem Blick gewahr, und beginnt mit ernsten Worten eine Leichenpredigt, von der sich in diesen schweren Stunden alle Trost und Zuversicht erwarten:
»Mitglieder der Berggemeinde, Bürger von Schwaz …«, hebt er mitleidsvoll an. Dabei faltet er seine Hände, wippt ein wenig auf den Zehenspitzen, als ob er damit eine weitere Stufe ausgleichen wolle. In seinem spitznasigen Gesicht liegt jene demutsvolle, seinem Orden wohl eigene Hoffart, die wir ebenso gut kennen wie seine langatmige, blumenreiche, predigtgeschulte Zunge.
»Brüder und Schwestern! Die Betrachtung des Todes bewegt das Herz eines Christenmenschen über die Maßen! Aber wie überaus kräftig und stark, ja sogar nützlich greift das Geschehene dem Menschen zum Herzen, vor allem, wenn der Tod, wie heute geschehen im Falkenstein, reiche Ernte einfährt.
Dann wird euch endlich klar werden: Wenn die Zeit des Todes gekommen ist, welchem keiner von euch weglaufen kann, wie heute nacht, dann geschieht euch das zur Vermahnung; da kann man das Ende aller Menschen mit leiblichen Augen sehen, mit beiden Händen greifen, mit äußerlichen und innerlichen Sinnen empfinden. Da habt ihr auf allen Seiten zu lernen.
Nur wer Gott gefällt, der ist ihm auch lieb. Woher also, du leidiger Tod, du Menschenwolf, woher sage ich, hast du solche Gewalt, daß du ohne Respekt und Unterschied unter den Knappen tobst und wütest? Daß du alle, die Jungen wie die Alten hinwegschaufelst? Tust du solches aus dir selbst heraus? Oder hast du gar Lust und Kurzweil mit uns?
Nein, nein!
Nur Gott allein kann das Leben des Menschen abbrechen wie ein Weber, der aufhört, sein Tuch zu weben. Gott allein kann den Menschen ablöschen wie ein Licht und zerreiben wie ein Erdwürmlein.
Seid gewiß: Der Tod ist durch die Sünde, also als eine Strafe Gottes über alle Adams-Kinder gekommen und ihnen natürlich geworden.
Und solcher Gestalt können wir mit Wahrheit sagen, daß der Tod eine Strafe wegen begangener Sünden ist!
So ein schrecklicher Tod kommt nicht von ungefähr, denn wenn man die Wahrheit zu Markte bringt, wird sich mancher unter euch anders besinnen und bekennen, daß es besser sei, öfter in die Kirche zu gehen, um zu büßen, als in die Trinkhäuser, um auszuschweifen.
Kröten, Eidechsen und Schlangen, als Symbole der Verwesung, wie ihr sie hier am Geländer eingemeißelt findet, lasset Euch als Mahnung dienen!
In diesen Häusern aber« – dabei zeigt Scherer in Richtung Alte Marktstraße -, »in diesen Häusern des Wohllebens, werden nur Gemeinheiten ausgetauscht, lächerliche Spiele vorgeführt, Völlerei, Sauferei, Rauferei gepflegt und Leichtfertigkeit geübt! Dort reizen fast alle Dinge das Fleisch, was normal genügsam ist, zu noch mehr Üppigkeit und Geilheit, bis es völlig verdorben ist. So hielten es auch die Toten dort, die diesen Weg oft bevorzugt haben!
Euch allen zum Gedächtnis gebracht: allesamt habt ihr Sünder zu lernen, daß es sich nicht lohnt, dem göttlichen Herrscher zu mißfallen …«
Erschrocken und beunruhigt, jedoch kaum fähig über die gesprochenen Worte des Hofpredigers nachzudenken, nehme ich seine Sätze auf. Zunächst bin ich nur tief enttäuscht. Wir hatten das Jüngste Gericht, die Hölle erlebt. Viele von uns haben Menschen verloren, die sie liebten – Söhne, Brüder, Männer, Väter, Freunde. Und der Mensch dort
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