Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
heben die toten Knappen auf drei schwere Pritschenwagen. Legen einen neben den anderen, die Körper schon steif - das Eiswasser hat ihnen die Wärme schnell entzogen.
»Zur Totenkapelle. Ruft den Pfarrer, er soll die Toten segnen, salben und den Menschen Trost spenden«, befehle ich den Gaffern, die seit mehr als drei Stunden der Leichenbergung zugesehen haben.
Der Zug setzt sich langsam vom Sigmund-Stollen aus in Richtung Schwaz in Bewegung.
Mit Fackeln in den Händen bilden wir links und rechts der drei vollen Totenkarren, die von Huntenläufern gezogen werden, das Geleit.
Vom Kirchplatz zu Unserer Lieben Frau dröhnt nicht mehr die mächtige Campana – es scheppert blechern das Totenglöcklein, in das das Gebimmel vom St. Martin am Knappenanger einfällt.
So rollen und schreiten wir etwa eine halbe Stunde vor Mitternacht durch die Knappensiedlung nach der Stadt: voran die Pritschenwagen, dahinter die Knappen und Angehörigen der Toten, zuletzt die Masse der Neugierigen.
»Heilige Maria, Mutter Gottes …«
Eine bedrückende Stille lastet auf dem Totenzug. Die gemurmelten Gebete, das leise Wehklagen der Trauernden werden übertönt durch das Rumpeln der Karren und das Schlurfen und Stapfen tausender Füße.
Das Entsetzliche hat die Menschen stumm gemacht.
»Heilige Maria, Mutter Gottes …«
Die Gruben sind unser Schlachtfeld – und ein Massengrab.
Wie leicht verkaufen wir eigentlich unsere Seelen? Ein halber Gulden war es, den Marx Fugger versprochen hatte – Händler des Todes! Sie waren keine Helden. Sie starben für Judas’ Lohn, und Fugger wußte es, daß die Knappen dafür den Tod riskierten.
Verdammt wären sie allerdings auch gewesen, hätten sie sich geweigert!
An der Lahnbach-Brücke erwartet uns Pfarrer Stockbauer in einer weißen Albe mit schwarzer Stola und schwarzem Chormantel. Seine Augen weiten sich entsetzt beim Anblick der Pritschenwagen und ihrer grausigen Fracht. Tränen kullern über sein gutes, dickes Gesicht. Eine Schar Ministranten mit Weihrauch, Kerzen und Weihwasser drängt sich verschreckt um ihn.
Hinter ihm ragt die hagere, spitznasige Gestalt des Paters Georg Scherer von der Gesellschaft Jesu, des aus Schwaz gebürtigen Herrn Hofpredigers zu Innsbruck, auf, der uns von Zeit zu Zeit mit seinen wortgewandten Predigten von Hölle und Ewiger Verdammnis in der Liebfrauenkirche beehrt. Auch er trägt Albe und schwarze Stola.
Im Hintergrund sehe ich Pater Conrad, den Guardian des Franziskanerklosters, mit seinen Mönchen, deren schwarze Kutten mit dem Dunkel verschmelzen.
Der Zug hält an.
»Requiem aeternam dona eis, Domine«, betet Pfarrer Stockbauer mit zitternder Stimme. »Befreie, o Herr, die Seelen dieser Knappen von jeder Schuld. Deine Gnade komme ihnen zu Hilfe …«
Mit Weihwasser und Weihrauch umrundet der Priester die Pritschenwagen.
Da beginnt Pater Georg Scherer, der Hofprediger, mit schallender Stimme die Sequentia aus der Totenmesse, das ›Dies irae‹, anzustimmen:
»Tag des Zornes, Tag der Zähren,
Wird die Welt in Asche kehren,
Wie Sibyll’ und David lehren.
Welches Zagen, welches Beben,
Wenn, zu richten alles Lehen,
Sich der Richter wird erheben!«
Ein Murmeln, halb erschrocken, halb ärgerlich geht durch unsere Reihen.
Der Jesuit schmettert unverdrossen weiter:
»Und das Buch wird aufgeschlagen,
Drin ist alles eingetragen
Welt, daraus dich anzuklagen!«
Da ertönt der volle Bariton Pater Conrads dazwischen:
»Aus der Tiefe schrei ich, Herr, zu dir;
Herr, erhör’ mein Rufen.«
Und die anderen Franziskaner fallen ein:
»O schenke doch Gehör der Stimme meines Flehens.
Wenn du die Sünden nicht vergessen könntest, Herr,
Herr, wer könnte dann noch bestehen?
Doch du gewährst Verzeihung, Herr,
und dein Gesetz gibt mir Vertrauen.
Ja, auf dein Wort vertraue ich:
es hoffet meine Seele auf den Herrn.
Beim Herrn ist ja Barmherzigkeit,
bei ihm Erlösung überreich.«
Der Zug setzt sich wieder in Bewegung. Unter den Doppelklängen des 129. Psalms der Franziskaner und des ›Dies irae‹ des Jesuiten rollen die Pritschenwagen das letzte Stück über die Brücke und den Weghinunter zum Totenhäusl neben der Liebfrauenkirche.
Dort angekommen drängen wir durch das Pförtchen in den Kirchhof, hinein auf den engen Platz zwischen Kirche und Totenhäusl. Die keinen Platz finden, stauen sich in der Gasse zwischen dem Hause der Katzbeck und der Friedhofsmauer.
Die Toten werden von den Wagen heruntergehoben.
Pater Georg Scherer hastet unterdessen
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