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Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)

Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)

Titel: Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes K. Soyener , Wolfram zu Mondfeld
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unser Witzbold.
    Doch wie ein Spaßvogel erscheint er nicht in diesem Augenblick, als er wie segnend seine Arme hebt. Verdreckt, durchnäßt, mit einer verkrusteten Wunde an der Stirn.
    »Ruhe! Still, Knappen!« kreischt er.
    Das Gemurmel der Menge stockt.
    »Ihr betet das Vaterunser falsch, Knappen! Ihr müßt es neu lernen! So müßt Ihr’s beten:
    »Vater Fugger, der du bist auf Erden,
geheiligt vom Pfaffen dein Name.
Bei uns ist dein Reich.
dein Wille geschehe in der Stadt und im Berg.«
    Die Menschen auf dem Platz zwischen Kirche und Totenhäusl sind erstarrt.
    »Unseren täglichen Pfennwert mißgönn uns heute.
Und vergib uns unsere Schafsgeduld,
wie auch wir vergeben deine Gier
und den von dir geschickten Tod.
Und führe uns in Versuchung,
und erlöse uns von diesem Leben.
Denn dein ist das Geld und der Mensch
und der Berg für diese Zeit. Amen!«
    Ein unwilliges Raunen durchläuft die Menge.
    »Amen!« echot Ambros Mornauer.
    »Amen!« brüllt die Rotte an der kleinen Nordpforte.
    »Amen!« geht ein Murmeln durch die Versammelten, wird lauter, zorniger.
    Mit Entsetzen bemerke ich, daß mir die Situation zu entgleiten droht.
    Ich hatte meine Wut auf die Geldgier und die Narrheit der Brüder Fugger, auf das frömmelnde Geschwätz des Jesuitenpfaffen hinausgebrüllt. Ja, ich hatte mich zur Stimme der Knappen gemacht, hatte zugelassen, für ein paar Augenblicke ihr Wortführer zu werden.
    Doch nun geht meine Stimme unter in dem wirren Geschrei des Nandl Kunzmeier, werden meine Worte von seinem blasphemischen Vaterunser weggefegt, wie eben ich noch das Geschwätz des Jesuiten weggefegt hatte.
    »Halt dein dummes Maul, Nandl!« versuche ich den Tumult zu übertönen.
    Ich werde niedergebrüllt.
    Eine Hand legte sich auf meinen Arm. Ich wende mich um und sehe in die besorgten Augen Reisländers.
    Er schüttelt leicht den Kopf. »Laß sie. Versuche nicht dagegen anzukämpfen. Ich hab’ es mehr als einmal erlebt: die wollen jetzt Blut sehen. Oder zumindest Scherben. Wer sich denen jetzt in den Weg stellt, der wird zu ihrem Feind. Den hassen sie mehr als jenen, der ihr Unglück verschuldet hat. Ich will dich nicht auch noch bei den Toten liegen sehen!«
    »Was ist das Leben eines Mannes wert?« kreischt Kunzmeier mit überschnappender Stimme. »Einen halben Gulden? Oder einen Gulden? Oder zehn Gulden?«
    »Hundert!« ruft jemand aus der Menge.
    »Und was ist das Blut eines Mannes wert?«
    Nandl Kunzmeier steht breitbeinig vor den Toten, fuchtelt mit den Armen durch die Luft. Seine Kopfwunde blutet wieder leicht, verschmiert sein Gesicht mit den vorquellenden Augen zu einer grotesken Maske.
    »Was ist das Blut eines Mannes wert?«
    »Tausend?«
    »Blut! Blut! Blut!!«
    »Blut«, greifen einige Stimmen den Ruf auf.
    Nandl Kunzmeier bückt sich, zerrt eine Leiche hoch, hält sie wie eine zerbrochene Puppe im Arm:
    »Nehmt alle Toten mit.
    Bringen wir ihnen den Bergsegen – den Bergfluch!
    Der Marx hat doch gesagt, er will ihn noch heute nacht sehen, wir sollen ihn zu seinem Haus bringen!
    Tun wir’s! Sollen sie ihn jetzt bezahlen!
    Der Siegmund mit Gold!
    Der Marx mit Blut!!«
    Er entreißt einem der Umstehenden die Fackel, schwingt sie durch die Luft, daß die Funken stieben, stolpert auf den Ausgang des Kirchhofes zu, die Leiche mit sich schleifend:
    »Blut für Blut!« höre ich ihn heulen.
    »Blut für Blut!« greift der Pockennarbige den Schrei auf.
    Und schon plärren ihm Dutzende Stimmen nach.
    Die Meute beginnt auf die Straße hinauszudrängen, zerrt einige der Toten mit sich, teils auf Tragen, teils an Armen und Beinen geschleppt.
    Schreiend und Fackeln schwingend wälzt sie sich den Alten Markt hinunter dem Rathaus zu.
    Pfarrer Stockbauer, der sich dazwischen wirft, wird weggerempelt, verschwindet in dem wirren Haufen.
    Der eiserne Griff auf meinem Arm zwingt mich zur Ruhe:
    »Behalte sie im Auge. Besonders den Kunzmeier und den Mornauer mit seiner Bande. Versuche nicht einzugreifen, es sei denn, es kommt zum Äußersten. Ich laufe inzwischen hinten herum und warne die Herren Fugger. Wir treffen uns dort.«
    Bergmeister Reisländer wirft mir einen letzten, warnenden Blick zu. Dann verschwindet er mit langen Schritten um die Ecke der Kirche hinein ins Dunkel des Friedhofes.
    Ich lasse mich vom Menschenstrom mitreißen.
    Ein Blick zurück zeigt mir Pfarrer Stockbauer, der mit heruntergefetztem Chormantel und einer blutigen Schramme auf der Backe zwischen den toten Knappen kniet und mit entsetzten

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