Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
nieder und küßt meine Hand.
Gewissenhaft schnüre ich alle Unterlagen zusammen, stecke sie in meinen Leinenbeutel, und binde diesen als Rucksack auf meinen Rücken.
Als ich die Hälfte der Strecke abwärts geschafft habe, bleibt die R OSARIO den Bruchteil einer unerträglichen Sekunde auf der Seite liegen. Dieser Moment der Reglosigkeit ist für mich schlimmer als das wildeste Schwanken, und somit erbreche ich im hohen Bogen. Mit unendlicher Anstrengung klammere ich mich an das Fallreep. Als mein Magen, völlig geleert, sich langsam beruhigt, flüstere ich in mich hinein: »Schlimmer kann’s nicht werden.« Gleich darauf setze ich meinen Fuß sicher auf die Bordkante der Pinasse des Lordadmirals.
»Willkommen an Bord! Ein großer Sieg unserer Flotte!« strahlt der Lieutenant.
»Großer Sieg? Einen Sarkophag voller Jauche haben wir geschenkt bekommen!«
Fassungslos starrt er mich an.
»Einen Eimer, Kleider zum Wechseln und Kurs A RK R OYAL .«
»Aye, aye, Sir!«
Ich vermute, er hat mich trotzdem nicht verstanden.
14
Gezeitenströme
Ärmelkanal
1588
Dienstag,
der 23. Juli
»Verdammt! Verdammt! Verdammt!«
Lord Thomas Howard, der Bruder des Lordadmirals, stapft fluchend in der Admiralskajüte auf und ab.
An diesem frühen Morgen – es ist halb drei Uhr – ist es nur die kleine Gruppe von Kapitänen der königlichen Schiffe, die sich auf der A RK R OYAL zum Kriegsrat versammelt hat.
»Es beginnt Landwind aufzukommen, und das heißt eindeutig Luvvorteil für die Spanier!«
»Nicht zu lange«, beruhigt ihn John Hawkins. »Diese Landwinde halten nicht. Noch im Lauf des Vormittags wird der Wind über Ost und Süd wieder nach Südwest oder West drehen.«
»Was mir jetzt weit mehr Sorgen macht«, wirft Thomas Fenner ein, »das ist Portsmouth, der Solent und Spithead. Kapitän Frobisher hat mir da einige höchst beunruhigende Zahlen eröffnet.«
»Portsmouth liegt noch einen guten Segeltag voraus«, näselt Hoby dazwischen. »Vorläufig sollten wir uns wohl besser Gedanken darüber machen, wie wir am heutigen Tag …«
»Eben deshalb müssen wir über Portsmouth sprechen, denn das Schicksal von Portsmouth entscheidet sich heute!« entgegnet Fenner. »Kapitän Frobisher, wäret Ihr so freundlich, Eure Berechnungen, die Ihr mir gezeigt habt, für uns alle nochmals zu wiederholen?«
Martin Frobisher stemmt sich von seinem Stuhl hoch, beugt sich mit uns über die Karte, die auf dem großen Tisch in der Mitte der Admiralskajüte ausgebreitet liegt.
»Und seid so liebenswürdig, das Problem ganz langsam zu erklären«, läßt sich Lord Cumberland vernehmen und schiebt seinen Hut ins Genick, während er mir verstohlen zublinzelt. »Damit auch ein Experte in Navigation und Seekriegsführung wie Sir Edward Hoby begreift, um was es geht.«
»Was Ebbe und Flut sind, dürfte sogar Euch bekannt sein, Sir Edward«, beginnt Martin Frobisher mit seinem knarrendem Baß.
»Also ich muß schon bitten …«, will Hoby auffahren, doch Frobisher, immun gegen jede Art von Humor und Ironie, spricht unbeirrt weiter. »Die Flut kommt, entsprechend den Stellungen von Sonne und Mond stärker oder schwächer, vom Atlantik herein und schiebt sich wie eine Welle den Kanal nach Osten hinauf. Die Geschwindigkeit der Strömung beträgt bei Falmouth etwa drei Knoten – drei Seemeilen in der Stunde. Da der Kanal nach Osten zu immer schmäler wird, wird das auflaufende Wasser zusammengepreßt und die Geschwindigkeit erhöht sich, so daß die Flut hier vor Portland Bill etwa fünf, bei Portsmouth gut sechs und bei Dover, an der engsten Stelle, sieben bis acht Knoten betragen kann, ehe das Wasser in die offene Nordsee hinausströmt. Zu Beginn der Flut ist die Strömungsgeschwindigkeit des Wassers noch gering. Etwa eine Stunde nach Einsetzen der Flut hat sie ihre volle Stärke erreicht und behält diese rund vier Stunden bei. Danach nimmt die Geschwindigkeit ab, und nach wiederum einer Stunde ist sie zum Stillstand gekommen.
Die Gezeiten kentern.
Nun beginnt mit Einsetzen der Ebbe für wiederum rund sechs Stunden der gleiche Vorgang – nur in umgekehrter Richtung von Ost nach West, da das Wasser jetzt vom Atlantik durch den Kanal aus der Nordsee herausgesogen wird. Ist das soweit klar, Sir Edward?«
»Das habe ich schon als kleiner Junge gewußt«, bemerkt Hoby hochmütig.
»Ich habe folgendes berechnet«, fährt Martin Frobisher fort. »Bis etwa 6 Uhr haben wir noch auflaufende Flut, die bei dem herrschenden Landwind die Dons auf
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