Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
werdet.«
»Belästigt?«
»Ja, belästigt!«
Kopfschüttelnd akzeptiere ich.
Gerade als wir das Bugkastell betreten, fällt mein Blick auf die schwere Schlepptrosse, die in langen Doppelbuchten vor uns liegt. Das eine Ende wird gerade von einigen Seeleuten aufgenommen und um den Betingsbalken gelegt. Sie könnten es sich jetzt noch überlegen, ob sie das Tau nicht lieber kappen sollten. Die Aussichten auf Erfolg wären für die Spanier nicht schlecht. Das etwa 60 Mann starke englische Prisenkommando wäre kein großes Hindernis. Mit unruhigen Gedanken begebe ich mich mit Tomson und Gilberte, flankiert von unseren Wachen, unter Deck.
Hier ist es dumpf und stickig. Der Luftstrom, der von unten nach oben zieht, beraubt mich meiner Sinne. Knall auf Fall bleiben wir stehen. Wolken von Fliegen sind um uns herum. Tomson und die Wachen würgen ebenso wie ich. Umkehren!? Jeder reine Leichengeruch ist eher zu ertragen als diese fauligen Ausdünstungen von Aas, Moder, Urin, Erbrochenem und gärendem Kot. Entsetzt starren wir uns für einen Moment an.
»Scheißverdammte Fliegen!« flucht Tomson.
»Da müssen wir hindurch?« japse ich. Die Männer nicken unmerklich. »Schnell hinunter ins unterste Batteriedeck. Laßt uns nur die Steuerbordseite vornehmen. Los, macht schnell, sonst kommen wir noch um in diesem Gestank, oder die Fliegen fressen uns.«
Auf unserem Wege nach unten begegnen wir auf jedem Deck etwa 50 bis 70 abgemagerten Männern, die großteils nackt auf den Planken hocken. Andere winden sich in Krämpfen und setzen pausenlos dünnflüssigen Kot auf die Bretter ab, auf den sich wiederum Wolken von Fliegen stürzen. Die Rinnsale bewegen sich mit Fliegengewimmel links und rechts zu den Bordwänden hin, sammeln sich dort im Wassergang zu kleineren Pfützen, bis sie an einer undichten Stelle an der Binnenwegerung abrinnen können. Glasige Schleimflocken, die obenauf schwimmen und in denen sich das Licht manchmal bricht, machen das Beobachten der Tropfrichtung leichter. Die Männer leiden unübersehbar an der Krankheit, bei der die Eingeweide allmählich abgefressen werden. Hans Christoph Löffler erzählte mir einmal, daß Karl V, etwa heute vor 36 Jahren, bei der Belagerung von Metz rund 80 000 Mann durch viele »überflüssige Stuhlgänge« verloren habe. Das Schicksal der Männer unter Deck ähnelt sehr dem der Soldaten vor Metz. Eins ist mir damit klar, die R OSARIO befördert in ihrem Bauch eine riesige Jauchegrube. Ein Wunder weniger an diesem Tag!
Die Öffnung der Geschützpforten verschafft uns ein wenig Erleichterung. Bei meiner hastigen Wanderung durch die zahlreichen Haupt- und Zwischendecks passiere ich die Gießereien von Holland bis hinunter nach Byzanz. Die Zusammensetzung der Batterien entspricht den berühmtesten Geschützwerkstätten Europas. Sie alle sind an Bord versammelt. Geschütze mit Hoheitszeichen aus Ragusa, Venedig, Neapel, Genua, Innsbruck, Augsburg, Nürnberg, Freiberg, Graz, Malaga, Madrid und Mecheln, dazu ein 9pfünder Beutegeschütz aus Konstantinopel, und, ich staune nicht schlecht, sogar fünf eiserne englische Sakers aus Hodges Furnace befinden sich darunter.
Es ist nicht zu glauben! Englische Eisenrohre, auf deren Weitergabe und Handel die Todesstrafe verhängt wird, befinden sich auf einem spanischen Admiralsschiff. Wenn Walsingham, Howard oder Hawkins davon Kenntnis bekommen, werden einige Händler in London und Bristol das Jucken am Halse verspüren. Dagegen sind die 140 englischen Bronzerohre aus dem Tower, die laut Sir Walter Raleigh mit Kenntnis des Unterhauses vor Monaten nach Neapel geliefert wurden, nur ein kleines Bedauern seitens der Königin wert gewesen.
Demnach ist anzunehmen, daß es auf den spanischen Schiffen noch mehr Feldschlangen englischen Ursprungs gibt. Ysabel berichtete mir, daß über die Händler von Bristol neun Schiffsladungen, mit allem, was der Seekrieg so braucht, vor einem Jahr nach Spanien abgesegelt sind. Darunter so wertvolle Güter wie Blei, Pulver und neben den erwähnten 140 Kanonen auch noch Arkebusen. Der Handel mit dem Feind ist weder anrüchig noch verdammenswert. Vielleicht war es auch mehr als nur Handel. Die Freunde Spaniens leben gut in den eigenen Reihen! Eine zusätzliche Quelle für die Stärkung der spanischen Feuerkraft. Zudem brachte Ysabel in Erfahrung, daß die Spanier noch im April zu Panikpreisen Kanonen in den Niederlanden aufkauften, wo man den Dons 19 und 20 Pfund pro Tonne dafür abnahm …
Am Ende der Inspektion
Weitere Kostenlose Bücher