Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
Nordwestkurs der Schiffe, in der Absicht, an jener Nehrung vor den Spaniern Schutz zu suchen.
Doch dazu läßt es Medina Sidonia nicht kommen. Ich beobachte, wie seine Kriegsgaleonen, erstmals in der Luvstellung, wenden und jeden Fetzen Leinwand setzen, um sich auf uns zu stürzen. Angeführt von Don Martín de Bertendónas L A R EGAZONA , nimmt alles, was an spanischen Schiffen schwere Kanonen und vor allem Soldaten trägt, Kurs auf unsere A RK , die S AN M ARTÍN ihres Oberbefehlshabers in ihrer Mitte.
Wir warten mit aufgegeiten Segeln. Näher und näher rauschen die mächtigen Galeonen und Karacken auf uns zu, ihre Buggeschütze beginnen zu donnern, erste Rauchwolken wehen uns ins Gesicht. Dann sind sie auf Arkebusenschußweite heran.
»Feuer!« gibt Charles Howard das Zeichen zum Beginn des Kampfes. Unsere Steuerbordgeschütze brüllen eine volle Breitseite hinaus.
»Ruder hart backbord! An die Brassen!«
Die Matrosen zerren an den Brassen und Schoten, die A RK dreht sich, zeigt dem Feind für einen Augenblick das Heck, kommt herum.
»Feuer!«
Die Kanoniere sind auf die gegenüberliegende Schiffsseite gerannt, die Luntenstöcke senken sich. Die Backbordbreitseite donnert los, überschüttet den Feind mit ihrem Eisenhagel. Und schon sind wir mit vollen, hart angebraßten Segeln auf Südostkurs aus der Reichweite der spanischen Geschütze. Ein Schiff nach dem anderen folgt, wie ein Uhrwerk, unserem Beispiel, feuert, wendet, feuert nochmals und läuft hinter uns drein ab.
Eine wütende Kanonade von Seiten der Spanier ist die Antwort. Unter Krachen und Tosen zucken entlang der Bordwände der mächtigen Karacken und Galeonen wie ein Gewitter die Mündungsblitze aus dem dicht aufwirbelnden Pulverdampf. In das Jubelgeschrei der Spanier über unsere Flucht mischen sich die im Chor gebrüllten Beschimpfungen ob unserer Feigheit, weil wir es offensichtlich wieder nicht zum ehrenhaften Enterkampf Mann gegen Mann kommen lassen.
Der Lordadmiral ist zufrieden. Mit zwei Breitseiten pro Schiff unsererseits ist es gelungen, Aberhunderte von spanischen Kugeln ins aufspritzende Wasser zu jagen. Wir haben es vor Plymouth erfahren: Es ist ungemein beruhigend, die eigenen Kanonen donnern zu hören – es gibt ein wunderbares Gefühl eigener Stärke und Sicherheit. Wir gönnen es den Dons von Herzen!
Auch ihren Jubel, der jetzt noch lauter wird. Denn sechs unserer Schiffe können dem Manöver nicht folgen, versuchen sich wie verschreckte Hühner an der westlichen Nehrung hinter Portland Bill zu verstecken. Zwei königliche Schiffe sind darunter, die 1556 neu erbaute M ARY R OSE und unser größtes Schiff, Frobishers T RIUMPH , die noch die altmodischen, hohen Kastelle trägt. Die anderen vier Schiffe gehören der Kaufmannschaft von London, die 400 Tonnen große M ERCHANT R OYAL unter Kapitän Robert Flicke, und die kleineren M ARGARET AND J OHN , C ENTURION und G OLDEN L ION .
Schon habe ich den Knauf der Tür zur Admiralskajüte in der Hand – ich muß dringend damit beginnen, meine Notizen von der R OSARIO für Howard auszuwerten, um ihm am Abend ein möglichst genaues Bild ihrer Pulver- und Kugelbestände zeichnen zu können -, als mich lautes Geschrei unserer Leute veranlaßt, mich doch nochmals umzuwenden.
Hinter den wirbelnden Rauchwänden des Gefechtes in unserem Rücken sehen wir Medina Sidonias gefährlichste Kriegsschiffe, die neapolitanischen Galeassen, ausscheren und sich gegen das abgeschnittene Häuflein um die T RIUMPH und M ARY R OSE wenden. Nein, diesen Vorteil kann sich der Herzog wahrhaft nicht entgehen lassen! Mit im Gleichtakt sich hebenden und senkenden Riemen, an denen jeweils zehn bis zwölf Männer zerren und schieben, rudern die Galeassen auf die Nehrung zu. Erste Feuerblitze und Qualmwolken schießen aus ihren Buggeschützen. Die bunten Fahnen und Wimpel knattern im Wind. Die rot gestrichenen Riemenblätter peitschen bei jedem Schlag das Wasser zu Schaum auf. Wie dicke Tausendfüßler kriechen die Galeassen auf Portland Bill zu.
Und kriechen und kriechen und kriechen …
Und kommen etwa 200 Schritt von der Inselspitze um keinen Yard mehr voran.
Die Segel, bemalt mit dem großen, roten Kleeblattkreuz Spaniens, werden gesetzt. Die Schlagzahl für die Ruderer wird erhöht. Wie blutiger Schaum wirbelt es unter den roten Riemenblättern.
Es nützt nichts. Absolut nichts.
Dafür werden unsere scheinbar verschreckten Hühner plötzlich sehr munter, kommen hinter ihrer Deckung hervor, drehen den
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