Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
Wolf eingeschlagen, ein Zeichen so berühmt, daß es die bekannten Schwertfeger zu Solingen und Toledo kopiert haben.
Aber diese Klinge ist echt. Ein echter »Passauer Wolf«! Eine jener seltenen Klingen der Meister zu Passau, denen man sogar Zauberkräfte nachsagt.
Wird sie nun meinen Lebensfaden durchschneiden? Den letzten Schlag tun, der den entwurzelten Baum zum Stürzen bringt?
»Nun, Bruder Baum?« frage ich leise.
Mein Blick wandert hinüber zu den Schneefeldern, den Schroffen des Karwendels, die von der Abendsonne mit einem rosigen Schimmer übergossen sind, während drunten im Tal bereits die Schatten liegen. Der Südwind läßt mich am Ort verweilen.
Langsam schiebe ich die Klinge zurück in ihre Scheide. In meinem Rücken fühle ich die rauhe Rinde des Stammes.
»Nein, Bruder Baum. Ich werde nicht stürzen!
Meine Wurzeln mögen zerschnitten sein – aber ich werde mir neue Wurzeln wachsen lassen!
Wo? Ich weiß es nicht. Wie? Auch das weiß ich nicht. Ich weiß nur eines: Nie wieder Berg! Nie wieder Wasser! Nie wieder eine Stadt wie Schwaz, in der ›Hosianna‹ und ›Kreuzige ihn‹ so nahe zusammen liegen!«
Ich sitze lange Stunden unter der mächtigen Fichte, höre dem Südwind zu, der wie eine vertraute Stimme zu mir spricht, sehe die Nacht hereinbrechen.
Irgendwann schlafe ich ein, gelehnt an die rauhe Haut meines Bruders, beschützt von seinen mächtigen Ästen.
Freitag,
der 30. April
Ein linder Morgen. Während der Bergwind mich wieder mit seiner betörenden Lauheit umfängt, liege ich im Gras und schicke seit gut einer Stunde vom rechten Flußufer aus lange Blicke hinüber zur Salzstadt Hall. Ist es der samtartige Wind, der mich innerlich so aufhellt? Manche sagen bei uns auch Sunnawind oder Türkenröster dazu, weil er sehr schnell alles Feuchte trocknet.
Für mich ist dieser Morgen wie der siebte Schöpfungstag, an dem das Leben beginnt. Sogar die letzte Wintertrübnis hat der Fluß für mich heute abgelegt. Ein gutes Zeichen!
Flumen Aenus, der Inn – was stiftete er nicht alles für uns im Tal die Jahrhunderte hindurch? Das Volk von Tirol liebt ihn besonders als Warenvermittler für unsere Handelsleute, da er vor allem mit Ton, Kalk, Stein, Glas, Erz, Salz, Holz die gewünschte Arbeit liefert und damit im Gefolge Brot und Segen für die Menschen entlang seiner Ufer. Von Oberitalien nach Hall, danach auf dem Inn nauwärts bis Wien befördert er zudem Weine, Zitronen, Käse und Seide; zurück – quasi in die Höhe -, schwimmen für das getreidearme Tirol Korn aus Niederbayern und aus Ungarn. Zum Ärger der einheimischen Weinhändler auch noch ungarische und österreichische Weine, die lieber getrunken werden als die sauren welschen. Weniger geliebt wird er allerdings als Heerstraße für Truppen, durch die das Land entvölkert oder besetzt wird.
Die Herren der Innflotten, die Schiffsmeister, dagegen kümmert es wenig, da ihre Geschäfte allein auf dem Wasser liegen. Die Rosenheimer vor allem sind darin Meister. Im Frieden wie im Krieg, bei Pest oder während der Hungerperioden der letzten Jahre – sie sind immer gefragt, mehr noch als die Kufsteiner und Rattenberger Plätten. Sie beherrschen das Geschäft. Ihre Verbindungen reichen über Passau hinaus – die gesamte Donau entlang.
Wie ich sehe, bin ich nicht allein angekommen vor Hall.
Auf Gegenfahrt, also den Inn aufwärts, macht gerade auf der gegenüberliegenden Lände, genau vor der Holzbrücke, die nach Hall hinüberführt, ein Schiffszug fest, deren Vielzahl von großen und kleinen Begleitschiffen die glitzernde Wasseroberfläche ritzt.
Den gewichtigen Mittelpunkt bilden vier schwarz-weiß gebänderte Transportschiffe, Klozillen genannt, allesamt mit Fahnen geschmückt und von je einer Nepomukstatue, die auf dem Bug thront, bewacht. Die Schiffe selbst machen keinen Lärm. Wer diese herrliche ruhige Morgenstunde empfindlich stört, sitzt oben auf dem Dach des Kommandoschiffes, der Hohenau. Es ist die Stimme des Sößstallers, verantwortlicher Führer des Zuges, der sich hoch hinausreckt. Er brüllt Kommandos in verzinktem Erfindungsreichtum, ähnlich unverständlich wie das Lateinische in der Kirche und nur für die Zunftmitglieder verstehbar.
»Las ahaiii …!« meine ich zu hören; oder jetzt: »Wondi! Hob über! Hoobn …!« singt er für die letzten Meter hinüber auf das Ufer, von wo aus der Troß von mehr als 40 berittenen Zugrössern den Schiffzug wahrhaftig an der Leine führt. Sie ziehen und schleppen an
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