Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
Löffler!«
Sie stößt einen leisen Schrei aus, verschließt zugleich ihren Mund mit der rechten Hand und glotzt mich erstaunt an:
»Maria und Josef … Der Adam! Du bist es wirklich!?« Ihr Gesicht wirkt überrascht, nimmt aber sofort besorgte Züge an: »Ich komm’ sofort.«
Und schon ist sie im Zimmer verschwunden. Kein Zweifel, das ist Elisabeth Geizkofler, angetraute Gemahlin meines Stiefonkels Hans Christoph.
Sie muß in Windeseile das halbe Haus durchquert haben, denn kaum stehe ich wieder unter dem Torbogen, als oben am Ende der steinernen Freitreppe Frau Elisabeth erscheint und auf mich herabsieht. Katharina steht schon oben und wird mit einem Blick, zusammen mit einer leicht angedeuteten Drehung des Kopfes, in das Haus verwiesen.
»Heilige Mutter Gottes!« sagt Frau Elisabeth, indem sie nun schon zum zweiten Male die Heilige Familie um Unterstützung bittet. »Ich habe heute schon alles in der Stadt auf dem Markt erfahren, was dir und deiner Frau …«, dabei schlägt sie hastig das Kreuz und blitzt kurz mit den Augen zum Himmel empor, »… in Schwaz widerfahren ist! Schrecklich, nein, so ein Unglück! Drecksäcke sag ich; Drecksäcke! Komm nur herein. Du wirst sicher Hunger haben, nicht wahr?«
Meine Antwort darauf ist unwichtig, denn schon wieselt sie an mir vorbei in das Haus. Sie geleitet mich in einen breiten Flur, der das Haus in seiner vollen Länge durchzieht und von dem aus man links wie rechts durch Türen in die verschiedenen Zimmer gelangt. Links befinden sich, nach den Gerüchen zu urteilen, Küche und Eßzimmer, zu dem mich Frau Elisabeth zielstrebig lenkt. Sie stößt die Tür auf und führt mich in den großen, völlig in Zedernholz gearbeiteten Raum.
»Antonia!« ruft Frau Elisabeth lautstark in die Küche hinaus. »Ist noch etwas von dem wilden Hennele da?« Und zu mir gerichtet. »Du willst doch sicher auch ein gutes Dottersüpple? Setz dich dort nieder«, erhalte ich gleichzeitig ihren Rat, der mehr wie eine Anweisung klingt, bevor sie hinaus in die Küche verschwindet und die Tür hinter sich zufallen läßt. Das alles überdeckende Geräusch dort draußen ist das Zischen der Glut im Herde, in die wohl Wasser aus einem kochenden Kessel tropft.
Ich nehme auf der langen Seite der Eckbank Platz, da ich annehme, daß der Herr des Hauses die Stirnseite für sich beansprucht, auch wenn er nicht anwesend ist. Das ganze Zimmer ist erdbebensichere Handwerkskunst. Die Tischplatte vor mir, gleich vier Finger dick, aus einem Stück gearbeitet, bietet 20 Personen bequem Platz. Enthaltsamkeit ist nicht das Laster dieses Ortes. Die Küche kennt in Tirol keine Ruhe und in diesem großen Hause, das ist mir klar, gleich zweimal nicht. Es ist bekannt, daß die Lust am Fraße bei uns nicht gering ist: Fast jeder Anlaß des geschäftlichen oder geselligen Lebens wird mit einer reichlichen Schmauserei eingeleitet, begleitet und beschlossen. Man haut sich den Wanst voll an Todes-, Jahrtags-, Siebentner-, Dreissigster-, Handschlags-, Vertrag-, Kirchtags-, Haus-, ja und … bei Willkommens-Mählern. Dabei sind der Anlässe noch um ein vielfaches mehr gegeben. Die bäuerliche Bevölkerung wie die Knappenfamilien kennen feinere Tafelgenüsse allerdings nicht, leisten aber dafür im Aufnehmen großer Mengen Gewaltiges. In Wagrain, so berichtete mir meine Stiefmutter, hatte zur glücklichen Niederkunft einer Base in Bereitschaft zu stehen: ein Kübel mit eineinhalb Zentner Schmalz, 1000-2000 Eier, zwei bis drei Star Weizen und ein Faß Traminer. Fünf Gänge – das war wohl das mindeste, was erwartet wurde. Die Trunkenheit ist zudem bei uns zu einer Tugend geworden; denn nur ein Schurke, so heißt es in den Trinkstuben, vermeidet es zu bechern, um seine Schlechtigkeit durch Ausplaudern nicht zu offenbaren.
Draußen höre ich Geschirr klappern, dazu die hohe durchdringende Stimme der Hausherrin, die unablässig Anweisungen an ihre Küchenmägde zu geben scheint.
Die Tür wird halb aufgestoßen; zunächst erscheint ein Brett mit einigen Schüsseln darauf, gehalten von zwei kräftigen Armen. Sie muß Antonia sein. Ich sehe ihr Gesicht von vorne – ein Ebenbild von strotzender Gesundheit und Lebensfreude.
Sie lächelt, »Gott zum Gruße«, mir voll ins Gesicht und zeigt mir ihre weißen, ja, wahrhaftig weißen, gesunden Zähne. Eine Ausnahme, eine Seltenheit, bei dem, was man sonst zu sehen bekommt.
»Ja, Gott zum Gruße«, antworte ich. Auf ihren Armen perlt winzig der Schweiß, ebenso auf der braunen
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