Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
unabdingbaren Teil der Erziehung eines Edelmannes hatte mein Vater eisern bestanden.
»Wenn du was hast, das Frau Elisabeth nicht unbedingt zu wissen braucht, dann sperr’s in die Truhe«, meint Max, ehe wir das Zimmer verlassen.
»Schnüffelt sie?«
»Die lebt vom Schnüffeln«, grinst Max.
Ich drehe den mächtigen Schlüssel, hebe den schweren Truhendeckel.
»Da tu’s hinein.«
Max zeigt auf ein abgeteiltes eingebautes, nochmals mit Eisen beschlagenes, und verschließbares Fach mit einem kleineren Schlüssel, an dem eine lange Lederschlinge hängt.
Ich öffne, verstaue das Buch von Agricola, meine Papiere, das Tagebuch in dem Fach, will das Geld hinzulegen, doch Max hält mich ab: »Leg das Geld vorn in die Truhe – in diesem Haus stiehlt niemand, so ihm sein Leben lieb ist. Das Laster hier heißt Neugier, nicht Unredlichkeit.«
Ich schließe das Fach, drehe den Schlüssel um. Max bückt sich, zieht ihn ab, hängt ihn mir mit der Lederschlinge um den Hals und schiebt ihn mir unter das Hemd: »Siehst du, so macht man das in diesem Haus. - Also komm!«
Als ich auf den Gang hinaustrete, stocke ich.
Natürlich muß ich mich irgendwo in einem der oberen Stockwerke befinden – dunkel erinnere ich mich, daß mich gestern abend Onkel Hans Christoph eine Treppe hinaufgeschleppt hatte, ehe ich ins Bett geplumpst war.
Max hat meine Unsicherheit bemerkt:
»Ach ja, du warst ja lang nicht mehr hier, und dank dem segensreichen Wirken von Frau Elisabeth hat sich auch so etliches verändert. Nun denn, laß dir die Cosmographie des Hauses kurz erklären.« Und im Ton eines Führers durch eine Kirche oder ein Schloß fährt mein Stief-Halb-Vetter fort:
»Der gnädige Herr befinden sich gegenwärtig im ersten Stock des Ansitzes Büchsenhausen auf dem Gänsbichel mit dem Rücken zum Fürstenzimmer oder, anders gesagt, der Prunkfassade nebst Gießerei und Ausblick auf die Brennerberge im Süden.
Rechter Hand befindet sich eine Treppe – wir werden ihr später unsere Aufmerksamkeit zuwenden.
Die Tür jenseits der Treppe führt in das östliche Erkerzimmer, genannt die Protzenburg, verwendet als höchst offizielles Empfangs-, Wohn- und Residenzzimmer unserer ehrfurchtgebietenden Herrschaften. So der Herr erlauben, werde ich ihm diese komprimierte Anhäufung Frau-Elisabethischer Geschmacklosigkeit und Geltungssucht ersparen – er wird sie früh genug zu Gesicht bekommen, und so zeitig am Morgen ist sie wahrlich nur schwer zu ertragen …
Das Türlein daneben mit Ausgang auf die Loggia über dem Hausportal führt zum bescheidenen Kämmerlein Eures allerergebensten Dieners Maximilian Brettschneider, gemeinhin als Max Löffler bekannt, auch wenn er dank seiner nicht ganz einwandfreien Geburt eigentlich ja den Namen seiner Mutter zu tragen hätte.
Hier, direkt Euch gegenüber, befinden sich die Waffen- und die Silberkammer, zu welchen der Herr die Schlüssel persönlich in Verwahrung hält. Um einen Ausgleich gegen dieses Mißtrauen zu schaffen, hält Frau Elisabeth die Schlüssel für die angrenzenden Räume mit Küchengeräten und Kleidern ebenso eifersüchtig unter Verschluß.
Den unteren Stock kennt Ihr ja: das Eßzimmer auf der Südseite in der Mitte, im Westen das Reich Antonias und ihrer reizvollen Hilfe Lene, die das Frühstück brachte. Im Norden liegen verschiedene Vorratsräume.
Zu beachten wäre noch der Raum auf der anderen Seite des Eßzimmers, Frau Elisabeths Lieblingsaufenthalt mit strategisch günstigem Blick über Hauseingang, Vorplatz, Zufahrt und Garten sowie auf das große Tor der Gießerei.
Offiziell ist besagter Raum als Nähzimmer geführt, weniger offiziell führt er die Bezeichnung Drachenhöhle.
Wenn der gnädige Herr nun mit mir die Treppe hinaufzusteigen geruhen …«
Ich folge Max in den zweiten Stock.
»Zunächst das Unwesentliche: auf der Nordseite die Zimmer der Kinder und ihrer Amme Hortensia«, fährt mein Führer fort. »Wenden wir uns also nach Süden:
Hier, über dem Fürstenzimmer, befindet sich das Streitzimmer - verzeiht, ich meinte natürlich das eheliche Schlafgemach von Herrn Hans Christoph und Frau Elisabeth.
Das Zimmer mit dem Osterker auf der anderen Seite bewohnt meine hübsche Halbschwester Katharina, Herrn Hans Christophs erklärter Liebling.
Zwischen diesen beiden Räumen liegt das Allerheiligste, des erhabenen Gießermeisters persönliches Arbeitszimmer. Verschlossen, versperrt und verriegelt. Die Tür müßte eigentlich unten noch eine kleine Klappe haben, auf
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