Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
Löffler zu überzeugen.
Ich will soeben aus den Federn kriechen, als die Tür aufgerempelt wird. Nicht die appetitliche Antonia, sondern Lene, die Köchin und Beschließerin, eine dicke, ältliche Weibsperson, deren Haare schlampig unter der weißen Haube hervorzumpeln, knallt mir ein Tablett mit einem riesigen Teller Schmarren, Eiern und Brot auf den Hocker neben dem Bett, latscht dann zu den Fenstern, reißt die Vorhänge auf und murmelt etwas, das wohl ein Morgengruß sein soll.
Sie ist gerade wieder am Gehen, als ein junger Bursche neben ihr ins Zimmer schlüpft. Er ist klein, drahtig, rothaarig, vielleicht 18 Jahre alt mit blitzblauen Augen, einer frechen Stupsnase und einem dürftigen Bärtchen um Mund und Kinn:
»Einen wunderschönen guten Morgen, Herr Halb-Stief-Vetter!«
Ungeniert läßt er sich auf die Kante meines Bettes fallen, greift nach dem Löffel und beginnt meinen Schmarren zu futtern.
»Du wirst dich natürlich nicht an meine Existenz erinnern. Also: ich bin Max, das von Frau Elisabeth allerhöchst ungeliebte Nebennauserl unseres hochgestrengen Herrn und Meisters.«
Max springt auf, überläßt mir gütig Löffel und den Rest des Schmarrens und trabt zu dem großen Erkerfenster:
»Jetzt fangen sie drüben an zu arbeiten, die armen Schweine«, grinst er.
»Und du?«
»Ich habe heute frei – wofür ich mich alleruntertänigst bei Euch zu bedanken habe, Herr Halb-Stief-Vetter!«
»Gern geschehen. – Kannst du mir vielleicht auch noch erklären wieso?«
»Nun, zum einen bin ich mit Abstand der miserabelste Geselle in der Gießerwerkstatt – der mit den berühmten zehn linken Daumen. Kein Mensch vermißt mich, eher im Gegenteil. Wenn ich nicht zufällig eben der Sohn des hochgestrengen Herrn Hans Christoph Löffler wäre, hätte er mich schon Vorjahren im hohen Bogen vor die Tür geschmissen.
Zum anderen hat man festgestellt, daß das, was du so an Kleidung bei dir hast, keinesfalls zu einem Vertreter der allerhöchst und wohlgeborenen, ungemein adeligen Schwazer Verwandtschaft paßt, mit der insbesondere Frau Elisabeth sich so gerne schmückt. Ergo wurde mir der ehrenvolle Auftrag zuteil, dich in die Stadt zu schleppen und dort so auszustaffieren, daß man dich auch herzeigen kann.«
»Ich habe derzeit, weiß Gott, anderes im Kopf, als mich auszustaffieren oder gar herzeigen zu lassen!« bemerke ich bissig.
Max schüttelt mißbilligend den Kopf:
»Wenn du länger als drei Tage unter diesem Dach bleiben willst, dann solltest du dich an die Spielregeln dieses Hauses halten:
Regel 1. Brüllen und Türenschmeißen ist das Vorrecht des Herrn. Er ist ein Choleriker der schlimmsten Sorte und als Geschäftsmann ein gerissener Hund, der über Leichen geht. Ansonsten ist ganz ordentlich mit ihm auskommen.
Regel 2. Keifen, Dienstboten scheuchen, auf die Moral achten und mit der feinen Verwandtschaft angeben ist das Recht der Frau. Wenn du klug bist, gehst du ihr in ganz weitem Bogen aus dem Weg!
Regel 3. Widersprich den beiden nie! Sag ›Ja‹ – und tu dann, was dir paßt.
Alles andere ist in diesem Haus erlaubt …«
Vermutlich hatte Max recht, schließlich muß er ja die Eigenheiten des Hauses kennen.
Während ich aus dem Bett krieche und mich ankleide krachen draußen wieder einmal die Türen, höre ich meinen Stiefonkel erneut brüllen – langsam gewöhne ich mich daran.
Ich werfe einen kurzen Mantel über die Schulter und nicke Max zu: »Also, gehen wir in Gottes Namen …«
»Du hast dein Schwert vergessen«, stellt Max fest.
»Mein Schwert? Wir gehen doch in die Stadt einkaufen und ziehen nicht in die Schlacht.«
Max wirft einen verzweifelten Blick zur Zimmerdecke.
»Höchst verehrungswürdiger Herr Stief-Halb-und-sonstwas-Vetter! Wir sind hier in Innsbruck! Nicht in dem Knappenkaff Schwaz! Zu Innsbruck zeigt man, wer man ist! Und ein Herr von Stand zeigt dies dadurch, daß er ein Schwert trägt.«
Ärgerlich greife ich nach dem Rauf eisen und befestige es an meiner linken Hüfte.
»Ist das alles?« fragt Max indigniert.
»Wieso alles?«
»Ich meine – ein richtiges Schwert ist doch erheblich länger, und, nun ja, ich denke …«
»Dann denke … Wenn ich unbedingt eine Waffe mit herumschleppen muß, dann diese! Verstanden?«
Max nickt.
»Kannst du wenigstens damit umgehen?« fragt er.
»Worauf du dich verlassen kannst!«
Mein Vater war zwar in erster Linie Kaufmann gewesen, Ulrich Schmelzer, ich Bergmann, aber auf einer gründlichen Waffenausbildung als einem
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