Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
Wanderbuch …«
»Das, das mein’ ich nicht, Meister. Ich mein’ … ich mein’ …«
»Was denn meinst du?« schnappt der ungeduldig.
»Das, was darin steht – in meinem Zeugnis, Meister!«
»Die lautere Wahrheit, Kerl!«
Hans Christoph reißt dem Altgesellen ein Papier aus der Hand, liest laut vor:
»Anton Hebsteller aus Saalfelden in der Steiermark … und hat fünf Jahr’ bei mir allhier in der Gießerei auf dem Gänsbichl zu Hötting in Tirol gearbeitet, davon zwei Jahr’ als Altgesell. Hat sich allzeit fleißig und willig gezeigt, insbesondere im geheimen und hinterlistigen Erkunden der Kenntnisse und des Wissens seines Meisters, um dieses alsbald auszunutzen wider seinen Meister und zu dessen Schaden, und hat ihn dergestalt hintergangen, betrogen und beraubt.
Hötting, den 4. Mai im Jahr des Herrn 1574.«
»Es ist nicht wahr! Das ist eine Lüge! Das ist nicht wahr, daß ich Euch hintergangen, betrogen und beraubt hätte, Meister!« zetert der Altgeselle.
»Und doch ist’s wahr!« blafft Löffler zurück.
»Meister«, jammert Toni Hebsteller, »bitte ändert dieses Zeugnis! Bitte!«
Jener stößt nur ein unwilliges Schnauben aus.
»Bitte, Meister! Um der Liebe Christi willen!«
Der Altgeselle ist auf die Knie gesunken, rutscht meinem Stiefonkel durch den Staub nach:
»Mit solch einem Zeugnis nimmt mich nie wieder eine Gießerei, und zur Meisterprüfung werd’ ich auch nicht zugelassen!«
»Das hättest du dir vorher überlegen sollen«, fährt ihn Löffler an und wendet sich ab.
Toni Hebsteller bleibt einen Augenblick fassungslos knien. Dann springt er auf:
»Nein! Nein !Nicht so, Meister! Ich werd’ zur Zunft gehen! Ich werd’ vor Gericht gehen! Ändert diese Zeilen, oder ich …«
»Was?« Hans Christoph beginnt zu toben. »Willst du mir drohen? Nun gut: Her mir dem Papier!«
Mit einem Ruck reißt er dem Altgesellen die Blätter aus der Hand:
»Melchior – Tinte, Feder, eine Unterlage!«
Ein Lehrling schleppt hastig das Gewünschte herbei.
»Postscriptum: und hat seinen Meister einen Lügner geheißen, ihn bedroht und schier tätlich angegriffen.«
Mit einem Ruck schleudert er dem Unglücklichen die Papiere ins Gesicht:
»Noch einer, der an seinem Meister etwas auszusetzen hat, der ihn einen Lügner nennen möchte?«
Die grünen Augen Löfflers funkeln, als er in die Runde blickt. Dann bleibt sein Blick an mir hängen. Seine Stimme wird nachsichtiger:
»Adam! Verzeih diesen häßlichen Auftritt! Du bist auf dem Weg in die Stadt?«
»Ja. Max hat gesagt …«
»Vergiß, was Max gesagt hat. Tu immer nur, was dir Spaß macht, die letzten Tage waren schwer genug für dich, Bub.« Seine Augen mustern mich nachdenklich. »Ich weiß ja nicht, ob dir vorderhand nach derlei der Sinn steht, aber wenn du einmal nichts Besseres zu tun weißt, dann zeige ich dir die Gießerei«, lächelt er. »Schon als Bub hast du ja damals immer versucht hinter das eiserne Tor zu gucken – erinnerst du dich?«
»Oh, das würde mich schon interessieren!« falle ich ein. »Wann immer Zeit ist.«
»Das ist ein Mann nach meinem Herzen!« lacht mein Stiefonkel. »Und Zeit? Nun, weshalb nicht gleich? Weshalb nicht jetzt?«
»Mit Vergnügen«, versichere ich. »Mich rettet das – zumindest im Augenblick – vor dem lästigen Kleiderkauf.«
»Worauf warten wir dann?« Der Meister klopft mir auf die Schulter. »Zieh dir etwas Bequemes an, das auch dreckig werden darf, und dann komm in einer Viertelstunde herüber – ich werd’ dich dann überall herumführen.«
Während ich ins Haus zurückkehre, höre ich den Toni Hebsteller schreien:
»Du wirst mich nicht so bald vergessen! Lügner! Leutschinder!«
»Fenster und Türen schließen!« schallt die Stimme der Herrin durch die Gänge. »Der Schmelzofen drüben ist angeheizt, der Wind steht schlecht. O Gott, das kann ja wieder tagelang so gehen! Können die kein trockenes Holz zum Anheizen verwenden?«
Ich sehe aus meinem Zimmerfenster hinüber zu einem großen Gebäude, aus dem zwei rund gemauerte Kamine ragen, wovon der linke eine fette schwarze Rauchsäule herausbläst. Es sind die größten Kamine unter den sechs, die von meinem Platz aus sichtbar sind. Die Ursache, daß uns die Augen tränen, ist der Wind, der die Rauchsäule nach kurzer Strecke zersaust und die beißenden Schwaden direkt zu unseren Fenstern treibt.
»Soll ich mein ganzes Leben diesen Gestank ertragen? Können denn die Flammöfen, diese Dreckschleudern, nicht weiter unten an
Weitere Kostenlose Bücher