Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
weiß vieles – sie kann Schmerzen wahrhaftig lindern.«
Nach einer kleinen Denkpause, die Augen zur Decke gerichtet, wiederholt er:
»Jauchetropfen unten und Mäusekot oben, so stimmt’s«, fährt er begeistert fort. »Wenn die Kinderzähne durchbrechen, fängt Franz den Schwarzen Ritter, unseren besten Hahn auf dem Hof. Die Herrin schneidet ihm mit der Schere den Kamm etwas ein und Hortensia reibt mit dem austretenden Blut dreimal täglich das Zahnfleisch unserer Kinder ein. Kein Geplärre im Haus! Wichtig ist doch, daß die Nachtruhe ungestört bleibt!«
Der schroffe Gegensatz zu Pietro steht mehr tot als lebendig auf der anderen Seite am steinernen Tisch. Barmherzigerweise sollte er besser liegen als stehen. Sein weißes Gesicht und seine weit aufgerissenen, triefenden Augen lassen die große hagere Gestalt noch zerbrechlicher erscheinen. Von seinen Haaren ist nicht mehr viel zu sehen, dafür hat er links wie rechts oberhalb der Ohren bläuliche Knochenwucherungen, die sich bis zum Genick fortsetzen und seinen Kopfumfang erheblich vergrößern. Die sehnigen Hände sind übersät mit Warzen. Eine davon ist so groß wie der Haller Doppelguldiner.
»Pantaleon! Warst schon beim Warzenvertreiber in der Stadt? Hat wohl nichts geholfen? Immer gescheiter als alle anderen. Was?«
Wie ein Habicht, der seinen Schnabel gleich in sein Opfer schlägt, blickt Pantaleon den Meister ruhig an: »Man kann von dem, was man nicht versteht, nicht reden.«
Der Meister schnappt nach Luft.
»Aha, hört ihr es! Ausgezeichnet! Sprüche kann er auch! Gegen seinen Meister!«
»Meister, ich …«
»Sei still, Pantallo, unterbrich mich nicht schon wieder!« Pantaleon legt gelassen seinen Meißel und Hammer weg, mit denen er die groben Metallbruchstücke in stapelbare rechteckige Stücke zerschlägt, stemmt seine Arme in die Hüften und zieht seine Lippen in den Mund hinein. Der Meister sieht aus, als ob er gleich auf den Tisch springen möchte:
»Er hat die schwarze Galle«, sagte er, zu mir gewandt. »Sein rechter Fuß wäre bald im flüssigen Metall verdampft, wenn ich ihn nicht gerettet hätte. Beim Gießen hat er ständig Flatulenzen. Spulwürmern, Blasensteinen und eingewachsenen Zehennägeln gewährt er Unterkunft. Das einzige, was er nicht hat, ist die Gicht – aber die tritt ja erst nach der Ausübung des Koitus auf! Ist es nicht so, Pantofflo?«
Ich spüre, daß eine weitere Gewalttat in der Luft liegt, bevor der Tag vorüber ist.
Pantaleon antwortet: »Hat die angetraute Herrin keine wirksame Medizin gegen häßliche, rasende, ständig aus den Fugen geratende Warzenköpfe?«
»Was wagst du dich, du … du Bastard!«
Pantaleon grinst nun breit und fährt fort: »Da hab’ ich von einer gut wirksamen Medizin gehört. Wenn am Pestfriedhof unten am Köpflplatzl ein Grab ausgehoben wird, muß man hingehen und sich einen Knochen schnappen. Mit dem muß man seinen Kopf eine längere Weile fest reiben. Gleich danach wirft man den Knochen zurück ins Loch und geht ohne sich umzudrehen fort. Danach ist der Kopf von kranken Gedanken und Warzen befreit! Unten heben’s gerade Gräber aus …«
»Ja warum jage ich dich nicht gleich zum Tor hinaus?« brüllt mein Onkel.
»Weil Ihr nicht könnt!« fällt Pantaleon ihm ins Wort. »Weil Ihr ohne den Toni, ohne mich und vielleicht auch ohne Pietro zusperren könnt! Leicht wird einer von uns entfernt, doch gehen zwei, wird für lange Zeit beim Löffler in Innsbruck kein Metall mehr zu Kanonen gegossen.«
Mein Stiefonkel erstarrt.
»Seid endlich still!« mische ich mich ein. »Nichts rettet uns vor dem Gift der Schmähsucht. Ihr reibt Euch die Wunden, statt einen Verband aufzulegen. Wie viele Meisterwerke sind durch Eure Hand entstanden? Wie viele werden noch entstehen? Euer Können darf nicht dem Spott und der Niedertracht geopfert werden. Unser Verstand ist ein Teil von unserem Glück. Wir sollten ihn nie verlieren!«
Mein Onkel, Pietro und auch Pantaleon sehen mich erstaunt an.
»Gut gesprochen, Herr …«
»Dreyling. Adam Dreyling.«
»Herr Dreyling, gut gesprochen!« wiederholt Pantaleon und fährt fort: »Toni, Pietro und ich wollen nichts als in Ruhe arbeiten und das gesamte Wissen der Gießkunst erfahren. Wahrheit und Gerechtigkeit fordern wir. Meister wollen wir werden!«
»Klar werdet ihr es!« antwortet mein Onkel plötzlich in versöhnlichem Ton. »Ihr habt viel gelernt, seid gut ausgebildet. Nur die Erfahrung fehlt euch noch in einigen Dingen. Bald ist es soweit!
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