Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
hast für heute frei, Bartlme; geh hinüber in deine Kammer und laß es dir für heute gutgehen.« Das »Heute« betont er dabei besonders deutlich. Während Bartlme, gestützt durch zwei Helfer, weggeführt wird, wendet er sich den Männern zu, breitet seine Arme aus, als ob er sie alle im nächsten Augenblick umarmen wollte, grinst, bis sich seine Augen völlig schließen und singt hinaus:
»Ohne Euch sind meine Werke wie ein Samen ohne Frucht, ohne Eure Arbeit bleibt das Metall ein ungeformter Klumpen. Deshalb geht wieder an Euer Tagwerk, damit die Frucht nicht vertrocknet!«
Die Männer schlurfen langsam und schweigsam in ihre Werkstätten. Zurück bleibt das blutgefärbte Wasser im Trog.
Der Meister ist wahrlich nicht leicht aus der Fassung zu bringen. Er strotzt vor Selbstvertrauen, und die Selbstgerechtigkeit ist seine Krone. Selbstbeherrschung kennt er ebenfalls nicht – jedenfalls nicht hier innerhalb seiner Gießerei. Das Rohe und das Häßliche des Metallgusses und die vielen Plagen, die er bereiten mag, sind mir durch die wenigen Eindrücke an diesem Ort beklemmend nahe gerückt. So viele Geschwüre, Eiterungen, wildes Fleisch an den Händen, gefrorene Glieder und andere fressende Schäden habe ich nie zuvor gesehen.
Wir stehen allein mitten im großen rechteckigen Innengelände, das einem sanft zum Inn hin abfallendem Plateau gleicht. Vor unseren Augen erstrecken sich ringsum die verschiedenen Werkstätten und Materiallager.
»Von diesem Punkt aus hast du einen guten Überblick. Wie du siehst, dehnt sich das Gelände von Norden nach Süden hin aus.
Gleich an das Gußhaus schließen sich in drei Abschnitten die Formereien an. Kanonen-, Glocken-, Hafnerformerei, sowie die Formerei für verschiedene Bildwerke. Die Verfahren zur Herstellung von Formen für Relieftafeln, Figuren, Brunnen, Wasserhähnen aus Bronze oder Messing für die Schlösser und Burgen werden für uns zunehmend wichtiger, denn die Erzeugnisse gewinnen am Hofe immer mehr an Beliebtheit. In diesen Gebäuden arbeiten die meisten Männer für mich.
Die Seite zum Inn hin wird abgeschlossen durch das Wohnhaus für einige Handlanger, rechts davon schließen sich überdachte Nebengebäude für die Stampfen und die Lehmbereitung an.
An der südlichen Seite, am Fallbach entlang, stehen alle Einrichtungen, die den Wasserlauf nicht entbehren können. Das große Wasserrad dort vorn ist für den Antrieb der Stampfen und der Blasebälge in den kleinen Gießereien. Für das Schmelzen und Legieren der Metalle im Herd-, Tiegel-, oder Windofen brauchen wir verschiedene Anordnungen von Blasebälgen, um die Schmelztemperaturen zu erreichen. Aber was rede ich – von der Wasserkunst weißt du selbst genug zu berichten.«
Stolz dreht er sich auf der Stelle und zeigt auf die Gebäude auf der westlichen Seite. Der Schatten des Turmes der St.-Nikolaus-Kirche, der über die südlichen Gebäude am Fallbach hoch hinausragt, hat indessen das Innengelände erreicht und zeigt wie ein mahnender Finger auf unseren Standplatz.
»Ist die Ecke dort drüben nicht paradiesisch schön?« übertreibt mein Onkel. »Wenn der Türkenröster noch drei Tage anhält, dann sind die Blüten der Obstbäume übermorgen heraus.«
»Das ist die schönste Ecke auf deinem Gelände«, stimme ich zu, da er die Obstbaumgruppe in der Nordwestecke anspricht. Die Erdfarben sind gedämpft, Braun- und Grüntöne vermischen sich in der Nachmittagssonne, und schließlich entdecke ich dahinter, auf dem diesseitigen Ufer des Fallbaches, die graue Steinmauer. Wie eine Klammer hält sie die Gebäude fest.
Mein Stiefonkel geht abrupt einige Schritte auf das einstöckige größere Gebäude zu. Es ist das erste auf der Westseite, gleich an der Steinmauer, und ebenfalls mit einem hohen Schornstein versehen. Das Gebäude erweckt eher den Eindruck eines Wohnhauses. An der Fassade erfreut sich wildwuchernder Wein, der die Wand bis zum Dach hinauf erobert hat. Der Meister steht im Schatten des Hauses und bleibt einen Augenblick lang zögernd vor der Tür stehen.
»Ach was, wir gehen jetzt nicht rein; die Geschichte des Hauses erzähl ich dir heute abend beim Wein.«
»Was ist denn in dem Haus?« bohre ich.
»Es gibt jede Menge Leute, die nur allzu gern darin wohnen wollten.«
»Ist es bewohnt?«
»Es ist bewohnt!«
»Von wem?«
Christoph dreht dem Haus den Rücken zu und sieht mich streng an: »Hier wohnen meine wichtigsten Männer. Meine drei Gießergesellen! Unter meiner Anleitung führen sie
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