Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
wird nie irgend jemandem volles Vertrauen schenken.
»Veit scheint sich verzweifelt zu langweilen«, dringt Colins Stimme in meine Gedanken.
Ich werfe unwillkürlich einen Blick hinüber zur Ofenbank, wo Veit, der Glockenformergeselle vor einem Krug Bier vor sich hindämmert.
Wieder einmal scheint Alexander Colin meinen Gedanken in seiner schon unheimlichen Weise gefolgt zu sein.
»Der Spitzel für den Spitzel«, grinst er.
»Der Bewacher für Pietro, den zweiten Kanonengießergesellen«, bestätige ich.
»Und Pietro«, stellt Colin fest, »hockt hier im S CHWARZEN A DLER , weil er auf Euch aufpassen soll, während Ihr wiederum den Oberaufpasser in der Gießerei spielt … zumindest glaubt das Euer Herr Oheim, wenn ich nicht irre.«
»Nein, Ihr irrt Euch nicht … nur …«
»Daß Ihr eben kein Spitzel seid, Dreyling. Ihr habt dazu kein Talent. Was Menschenkenntnis anbelangt, so hat Euer Herr und Meister die Hellsichtigkeit eines Maulwurfs.«
»Nun ja, bespitzelt und verpfiffen wegen irgendwelcher Albernheiten habe ich gewiß keinen, aber daß niemand irgendwelche Geheimnisse der Gießerei ausplaudert, dafür habe ich schon gesorgt …«
Colins rechte Hand zeichnet einen Faun mit spitzen Ohren und spöttischem Grinsen und einen Weinbecher in der Hand – einen Faun, der seine eigenen Züge trägt – und ebenso spöttisch ist jetzt das Grinsen des Künstlers:
»Ihr habt verhindert, daß die Gesellen Geheimnisse Meister Löfflers ausplaudern? Welche Geheimnisse denn? Kennt Ihr denn selbst diese Geheimnisse? Wie viele der sieben Siegel der Gießerkunst habt Ihr denn in diesen vergangenen Jahren geöffnet?«
Alexander Colin beugt sich weit über den Tisch herüber. Sein weingeschwängerter Atem schlägt mir wiederum ins Gesicht:
»Die Siegel des Bergbaus und der Metallgewinnung habt Ihr schon mitgebracht aus Schwaz.
Und welche habt Ihr auf Büchsenhausen geöffnet?
Das Siegel der Form? - Ja.
Das Siegel des Formbrandes? - Auch dieses.
Das Siegel des Schmelzofenbaues?«
»Nun, ich kenne die Tiegel- und Windöfen …«
Colin wischt meinen Einwurf weg: »Um die Flammöfen geht es! Nur um die Flammöfen, Dreyling!«
»Das Prinzip ist mir klar …«
»Nicht das Prinzip, junger Freund! Die Maße! Die genauen Maße, der exakte Heizvorgang!«
Ich zucke mit den Achseln. »Onkel Hans Christoph läßt an seine schwarzen Riesen nur den Bartlme, seinen ersten Heizer heran, und den nur unter strengster eigener Aufsicht.«
»Und das Siegel der genauen Metallmischung? Und schließlich das siebte, das Siegel des Gußvorganges?«
»Ihr wißt selbst, daß niemand hinter den berühmten Vorhang kommt außer Pietro und Pantaleon – und selbst die müssen in den wohl entscheidenden letzten Minuten unmittelbar vor dem Anstich hinaus und dürfen erst wieder erscheinen, wenn der Ofen tatsächlich angestochen wird und sich Onkel Hans Christoph zurückzieht …«
Alexander Colin läßt sich auf seinen Sitz zurückfallen, leert den fast vollen Becher mit einem riesigen Schluck, schüttelt den Kopf:
»Nichts wißt Ihr also! Zwei Siegel also in fast vier Jahren – und die restlichen drei werden unlösbar bleiben, denn der Meister wird sie Euch niemals anvertrauen.«
Ich starre Colin fassungslos an.
»Ihr seid Herrn Löfflers Handlanger, Dreyling. Und Ihr werdet ewig Herrn Löfflers Handlanger bleiben.«
»Adam! Adam, wo bleibst du denn? Hast du unsere Verabredung vergessen? Wir wollten doch ins S TANGELREITER !«
Ich drehe mich nach dem Rufer um. Max eilt zwischen den Tischen auf mich zu:
»Meister Colin, verzeiht, aber Adam und ich wollten …«
»Schon gut«, winkt der Künstler ab. »Geht nur, Herr Dreyling. Unser Gespräch können wir auch nächsten Sonnabend fortsetzen.«
»Einen Augenblick noch, Max, ich wollte Meister Colin nur noch eine Kleinigkeit zeigen.«
Sichtlich unruhig läßt sich Max an einem Nebentisch nieder.
Ich ziehe ein Stück Papier hervor: »Über die Inschriften waren wir uns einig. Aber unten am Sockel wollte ich noch dies anbringen:
»M IR GAB A LEXANDER C OLIN DEN P OSSEN A DAM D REYLING HATT MICH GEGOSSEN . 1578.«
Colin glubscht mich an, als seien mir soeben zwei Köpfe gewachsen:
»H ANNS C HRISTOFF L ÖFFLER HATT MICH GEGOSSEN .«
»Nein! Onkel Hans Christoph hat dieses Epitaph bis heute nicht einmal gesehen – und er wird es auch nicht sehen, bis es fertig ist! Ich allein habe es geformt, und ich allein werde es auch gießen!«
»Das spielt keine Rolle, mein Freund. Nur der
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