Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
Stangelreiters scheint trefflich gewählt, denn das Wirtshaus am Innrain genießt ebenfalls einen reichlich wilden Ruf, und wenn auch die frommen Ursulinen-Schwestern links und der Herr Dr. Matthias Alber rechts die erzherzoglichen Behörden in schöner Regelmäßigkeit mit Beschwerden über das Treiben in und um das S TANGELREITER bombardieren, so scheint die Behörde der Auffassung zuzuneigen, das Treiben – wenn es denn sein muß, und irgendwo muß es ja wohl sein – lieber außerhalb als innerhalb der Stadtmauern zu wissen.
Ich war in der ganzen Zeit noch nie in diesem Haus gewesen, doch Max hatte mich so bedrängt, mitzukommen, daß ich schließlich eingewilligt hatte. Es gebe etwas ganz Besonderes zu sehen.
Max zieht mich zielstrebig ins Innere, wo mir unter den mäßig beleuchteten Gewölben eine Woge des Gestanks, gemischt aus verschüttetem Bier und Wein, ungewaschenen Leibern, schlechtem Fett, Urin, Erbrochenem und Rauch entgegenschlägt.
»Schau, schau! Das Löffler-Mäxchen ist auch schon da!«
Ein Spitzbube mittleren Alters, hager, sehnig, aufgeputzt wie ein Gockel, mit öligen Haaren, mächtig vorstehenden Schneidezähnen und kalten Augen schiebt sich uns in den Weg.
»Einen schönen guten Abend auch! Ein wunderbares Wetter, das wir heute erwischt haben«, plappert Max los.
»O ja, so wunderbar wie die silbernen Guldinerchen, die du mir gleich zurückzahlen wirst!«
Max winkt hektisch ab: »Du hast gesagt, daß ich bis morgen nacht Zeit habe, zu zahlen.«
Der Kerl grinst humorlos, wobei er seine mächtigen Schneidezähne noch weiter entblößt.
»Vielleicht habe ich das wirklich, aber für dich wäre es gesünder, wenn du es nicht darauf ankommen ließest, Löffler-Kegel!«
Der Lärm, der Gestank, die drängelnden Menschenhorden, die Unterhaltung ebenso wie der Bursche gehen mir auf den Geist. Im Grunde bedaure ich bereits, mit Max hierhergekommen zu sein.
»Wenn du dich unterhalten willst, dann bleib. Ich jedenfalls lasse diesen Krach und Gestank keine Minute länger über mich ergehen«, fauche ich Max gereizt an.
»Oh, wen haben wir denn da?« fragt der Mensch und mustert mich mit seinen kalten Augen.
»Das ist mein Vetter, Herr Adam Dreyling zu Wagrain«, beeilt sich Max zu erklären.
Der Kerl verbeugt sich devot: »Welcher Glanz in unserer Hütte! Seid willkommen, edler Herr Dreyling.«
»Und das ist«, fährt Max hastig fort, »Meister Bruno Deodatus, von seinen Freunden der Hase genannt.«
Wieder verbeugt sich der Spitzbube devot, zieht die Lippen noch weiter von den mächtigen Schneidezähnen zurück. »Darf ich die Herren zu ihrem Platz führen? Ihnen etwas zu essen, zu trinken und sonst etwas zu ihrem Wohlbefinden besorgen?«
»Nur zu – vorausgesetzt, ich komme hier endlich heraus!«
»Euer Wunsch ist mir Befehl, werter Herr!«
Der Hase wendet sich um, rempelt uns rücksichtslos den Weg frei, fuhrt uns durch ein zweites, mächtiges Tor hinaus in den Garten.
Auch hier Tisch an Tisch, Bank an Bank, Mensch an Mensch, Fressen, Saufen, Gegröle, Gelächter, krachende Musik, Gestank – doch unter dem freien Himmel verliert sich wenigstens das Ärgste.
»Hier entlang, wenn ich bitten darf«, flötet der Hase und dirigiert uns zwischen den Massen hindurch zu einem der drei Dutzend kleineren Tische, die nahe einem Podium stehen, welches, von Fackeln beleuchtet, an der Rückwand des Wirtshauses aufgebaut ist.
Von den acht Plätzen am Tisch sind vier schon besetzt. Ein dicker, ungemein schwitzender Mann – bei verschiedenen Anlässen habe ich ihn unter den ehrenwerten Zunftmeistern gesehen – beschäftigt sich eifrig wechselweise mit seinem Bierhumpen und den halb entblößten Brüsten einer offensichtlich gelangweilten Hübschlerin.
Der andere Mann am Tisch ist aufgesprungen, streckt mir die Hand entgegen:
»So trifft man sich wieder, Herr Dreyling! Wir sind uns ja schon öfter im Hause Eures Oheims begegnet, auch wenn wir uns bislang noch nicht näher kennenlernen durften. Ich bin Kupferhändler und komme aus Meran, wie Ihr vielleicht noch wißt.
Davido. Willi Davido, mein Name, wenn Ihr Euch erinnern wollt.«
Die dünnen Blondhaare, die rauchgrauen Augen, die Pockennarben. O ja, ich erinnere mich sehr gut an ihn – und an jene Nacht in Schwaz, die unauslöschbar in mein Gedächtnis eingebrannt ist. O ja, ich erinnere mich an ihn, wie er auf dem Kirchhof vor dem Totenhäusl und später vor dem Palais der Fugger Gewalt, Brand und Mord gekreischt hatte.
»Nehmt Platz,
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