Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
Meister darf auf ein Gußstück seinen Namen oder sein Zeichen setzen!«
»Wenn die Tafel in der Kirche von Schwaz angebracht wird, werde ich Meister sein!«
»Ihr? Nie!«
»Und weshalb nicht? Ich bin seit zwei Jahren Werkführer zu Büchsenhausen. Ich habe Gebrauchsgerät, Bildtafeln und Glocken geformt und gegossen. Das einzige, was ich nie getan habe, ist eine Feldschlange zu gießen.
Gut, ich erkenne an, daß mein Wissen noch Lücken hat, etwa was die großen Flammöfen anbelangt, aber das ist kein Wissen, das sich nicht beschaffen ließe. Und wer will mich dann hindern, mich zur Meisterprüfung anzumelden?«
»Meister Löffler. Er kann, und er wird es tun! Er hat es immer getan! Immer! Denkt an den Toni Hebstaller! Er wird Euch eher umbringen, als daß er Euch als Meister aus seinen Mauern läßt! Es sei - es sei denn …«
Colins Linke zeichnet – knospende Brüste, eine schmale Taille, lange Schenkel …
»Es sei denn – was?« frage ich ungeduldig.
»Ihr pflückt endlich die Frucht, die sich Euch so offensichtlich anbietet.«
»Meister Colin, bitte, redet verständlich!«
Alexander Colin lacht leise, während er weiterzeichnet. Die ersten, leichten Linien nehmen immer deutlichere Formen an, werden rund, das Gesicht über dem nackten Körper ähnelt immer mehr dem Katharinas:
»Sie ist zu einer schwellenden Frucht herangewachsen. Schaut hin: Kelchblätter, zarter Flaum, spitze Knospen, Vorfrühling, rosengleiche Blüte von zartem Rosa, ein kydonianischer Apfel. Habt Ihr es noch nicht bemerkt? Die kleine Himmelskönigin würde Euer Schwanzgefieder mit Sternen bedecken, und ihr Feuer würde Eure Hand verkohlen, ohne daß Ihr es bemerkt! Auf meinem Aktäonbrunnen würde ich sie gerne als Nymphe sehen.«
»Ich kann das nicht glauben …«
Colin zwinkert mir zu: »Glaubt’s nur – und schaut genau hin, junger Freund!«
Max drängt wieder an unseren Tisch:
»Adam! Wir müssen los!«
Nun denn. Ich stehe auf, verabschiede mich von Meister Colin.
Und während meine Rechte seine Hand schüttelt, läßt meine Linke die Zeichnung mit der nackten Katharina in die Tasche gleiten.
Minuten später stehe ich mit Max auf der Straße. Das Gespräch mit Alexander Colin schwirrt mir im Kopf herum. Das Epitaph – mein Wunsch zur Meisterprüfung – Colins Reden über meinen Onkel – die sieben Siegel.
Die Dämmerung ist inzwischen hereingebrochen, und die Geschäftsleute und Handwerker beginnen ihre Läden zu schließen, während Max und ich am Goldenen Dachl vorbeiwandern, wo ein Habsburger, es war wohl Friedrich mit der leeren Tasche – was für ein bezeichnender Spitzname für einen Habsburger! – einen Erker mit Dukaten decken ließ, um zu beweisen, daß er noch Geld habe, was ihm trotzdem wohl keiner geglaubt hat …
Am Pickentor kommen wir am Ansitz Streitenegg vorbei, der meinem Bruder Johann gehört, und biegen zum Innrain ein.
Das S TANGELREITER ist ein breit ausladender, dreistöckiger Bau mit halbrundem Giebel am Innrain, etwa in der Mitte zwischen dem Kloster der Ursulinen und dem Ansitz Albersheim gelegen.
Über dem scheunentorgroßen Eingang, durch den eine bunte Menge ins Innere drängt und schiebt, hängt an einem kunstvoll geschmiedeten Arm das blecherne Wirtshausschild: In kräftigen Farben reitet da ein Mann quer, das heißt beide Beine auf einer Seite herabhängend, wie es bei den Schiffsleuten der Brauch ist, auf einem schweren Zugpferd, die rot-weiß gestrichene Meßlatte wie einen Feldherrenstab in der Faust.
Ich habe sie oft gesehen in Schwaz, die Schiffsleute, wenn sie den Inn auf- und abwärts zogen. Während der Sößstaller als der eigentliche Verantwortliche für einen Schiffszug oben auf dem Hohenau thronte, wurde der Zug der Pferde von einem Vorreiter angeführt, eben dem Stangelreiter, der mit seiner Meßlatte, der Marschalten, von der er seinen Namen hat, die Wassertiefen der Seitenarme und jener Stellen, an denen die Pferde ins Wasser kommen, zu sondieren und alles Notwendige zu veranlassen hat, damit Mensch und Pferde - oder eigentlich nur die Schiffe – nicht zu Schaden kommen.
Die Treiber und Schiffsleute gelten als recht wilde Gesellen, die mit wüstem Gebrüll, Fluchen und Peitschenknall das Inntal durchziehen und abends in den Herbergen mit Saufen, Fressen, Huren und Raufen weit Überdurchschnittliches zu leisten pflegen. Und als die Ärgsten der Argen, wie könnte es anders sein, gelten natürlich ihre Anführer, die Stangelreiter.
Das Symbol des
Weitere Kostenlose Bücher