Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
Strichlein, wie die Bibel sagt!«
»Für mich ist dieses Epitaph eine Ehrensache, Meister Colin. Eine Ehrensache, bei der ich mir nichts schenken lassen will und darf!«
»Und deshalb hört Ihr in Eurer kargen Freizeit dem Geschwätz eines alten Säufers zu, schneidet eigenhändig nächtens das Wachsmodell, wollt die Gußform und den Guß selber ausführen und für das Material dem alten Gauner Löffler den dreifachen Preis bezahlen, als die Bronze tatsächlich wert ist …
Ihr seid ein Narr, Dreyling – ein hochherziger Narr von Ehre. Nun, hoffentlich begreift Eure saubere Verwandtschaft wenigstens den vornehmen Fußtritt, den Ihr da austeilt.«
»Fußtritt?«
Die Schankmagd hat einen neuen Krug gebracht; Colin gießt sich großzügig ein:
»Nein, natürlich seid Ihr viel zu ehrenhaft, um an so etwas zu denken. Aber hat Euer Vater nicht eine Witwe und vier Söhne und ein paar Töchter hinterlassen? Und wer davon bezahlt sein Epitaph? Der geschniegelte, raffgierige Hofschranze Dr. Johann; Euer Bruder Ulrich, der mittlerweile ein angesehener Schmelzmeister im Polnischen ist; oder Frau Regina, geborene Löffler; oder …?«
»So dürft Ihr das nicht sehen, Meister Colin. Mit Johann, nun, da mögt Ihr sogar ein wenig recht haben. Aber Ulrich, der lebt in einer anderen Welt, und Kaspar ist ein kleines Studentlein zu Ingolstadt.«
»Mit Pferd, Wagen und Diener, wie man hört.«
»… und Frau Regina lebt von dem, was ihr Ulrich und ich und manchmal sogar Herr Hans Christoph zustecken.«
Um dem mir unangenehmen Thema zu entgehen, habe ich ein kleines, weich mit Sägespänen gefülltes Holzkistchen auf den Tisch gestellt. Vorsichtig entnehme ich ihm die beiden Figuren, die in den Seitennischen des Epitaphs stehen sollen und die ich in den letzten drei Wochen abends und sonntags nach den Entwürfen Meister Colin aus Wachs geschnitten habe: Der Bergmann links erinnert in seiner Haltung und Körperdrehung an den Apoll Sansovinos an der Loggetta in Venedig, der Schmelzer rechts ist ihm ein würdiges Pendant. Nur die Haltung der inneren Arme habe ich gegenüber dem Entwurf verändert – was wird Colin sagen?
Er begutachtet die Stücke eingehend. Dann nickt er zufrieden:
»In die Hände auf der Innenseite sollen wohl bei Totenmessen Kerzen gesteckt werden?«
»Ja! Die Idee kam mir beim Anblick der großen Ahnenfiguren am Kaisergrabmal in der Hofkirche.«
Bei der Erwähnung dieser Figuren verfinstert sich das Gesicht Meister Colins schlagartig: »Erinnert mich nicht an das Kaisergrabmal! Das leere Grab, in dem nur mein Ruhm und meine Unsterblichkeit beerdigt liegt!«
Alexander Colin schüttet zornig einen Becher Wein in seine Kehle. »Mit diesem Grabmal haben sie mich hergelockt nach Innsbruck.
Ich, ich, Alexander Colin aus Mecheln, sollte das größte, das prunkvollste Grabmal der Welt, den ewigen Triumph des Hauses Habsburg vollenden. 40 große Statuen der Vorfahren des Kaiserhauses sollten gegossen werden und nicht weniger als 100 Statuen von Heiligen aus der Sippschaft des Herscherhauses. Mit dem fertigen Drittel verbanden sich schon Namen wie Dürer, Vischer, Godl und Sesselschreiber.
Und der, der dies zum Abschluß bringen sollte, das war ich. Ich! Donatello, Bramante, Michelangelo, tretet zurück hinter Alexander Colin!
Neunzehn Mitarbeiter hab’ ich angeworben aus eigener Tasche, um diesen Auftrag ausfuhren zu können – nicht nur Gesellen, Meister!
Und wie ging es dahin in den ersten Jahren! Der Bau des Kenotaphs, bekrönt von der Erzstatue des knienden Kaisers, umgeben von den Kardinaltugenden Temperantia, Fortitudo, Paedentia und Justitia – Mäßigkeit, Stärke, Fürsorglichkeit und Gerechtigkeit – und am Sockel in 24 Marmorreliefs die berühmtesten Taten Kaiser Maximilians …
Und dann? Aus! Schluß! Und wem habe ich das zu verdanken? Niemand anderem als dem hochwohlgeborenen Herrn Hans Christoph Löffler zu Büchsenhausen!«
»Aber er hat doch ein paar der kleinen Figuren gegossen, und auch verschiedene Teile des Kenotaphs«, werfe ich ein.
Alexander Colin schnaubt verächtlich. »Als er erst einmal die geforderten 95 Zentner Metall, neun Zentner 70 Pfund Wachs und zwölf Zentner Gips für die Arbeit sicher hatte, schwand sein Interesse schlagartig. 1568 schrieb er dann dem Erzherzog einen Brief: Er habe das Bildgießen weder erlernt noch geübt. Sein Vater habe ihn vor den Gefahren und Beschwerlichkeiten des Bildgusses gewarnt. Der Erzherzog könne nicht von ihm verlangen, daß er sein
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