Der Meister und Margarita
dieselbe gemeine Stimme aus dem Nebenzimmer. "Ist ja schließlich nicht Newtons Binom! In neun Monaten stirbt er an Leberkrebs, im Februar nächsten Jahres, in der Moskauer Universitätsklinik, Zimmer vier."
Der Kantinenwirt wurde gelb im Gesicht.
"In neun Monaten", rechnete Voland nachdenklich. "Zweihundertneunundvierzigtausend, das macht rund gerechnet sieben-undzwanzigtausend per Monat. Nicht viel, aber zum bescheidenen Leben reicht's... Außerdem hat er noch die Goldstücke ..."
"Die kann er nicht mehr verbrauchen", mengte sich wieder die Stimme ein und ließ das Herz des Kantinenwirts vereisen. "Nach seinem Tode wird das Haus abgerissen, und die Goldstücke werden bei der Staatsbank abgeliefert." "Ich würde Ihnen nicht raten, sich in die Klinik zu legen", sagte der Artist. "Was hat es für einen Sinn, in einem Krankenzimmer unter dem Stöhnen und Röcheln Todgeweihter zu sterben? Ist es nicht besser, für die letzten siebenundzwanzigtausend ein Festmahl zu veranstalten, Gift zu nehmen und unter Saitenklängen in die andere Welt einzugehen, umgeben von trunkenen schönen Frauen und übermütigen Freunden?" Der Kantinenwirt saß reglos und war sehr gealtert. Dunkle Ringe lagen um seine Augen, die Wangen baumelten schlapp, der Kiefer hing herunter.
"Aber wir haben uns verplauscht", rief der Hausherr. "Zeigen Sie mir Ihr zerschnittenes Papier."
Der Kantinenwirt holte aufgeregt das Päckchen aus der Tasche, wickelte es auf und erstarrte. Es enthielt Zehnrubelscheine. "Mein Guter, Sie sind wirklich krank", sagte Voland und zuckte die Achseln.
Der Kantinenwirt lächelte blöde und erhob sich vom Hocker. "A-aber", stotterte er, "wenn sie wieder ... so ..." "Hm", der Artist überlegte, "nun, dann kommen Sie wieder zu uns. Sie sind mir jederzeit willkommen, hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen."
Da kam Korowjew aus dem Nebenzimmer gesprungen, umklammerte die Hand des Kantinenwirts, schüttelte sie heftig und bat Andrej Fokitsch, allen, aber auch allen die herzlichsten Grüße auszurichten.
Der Kantinenwirt, der nicht mehr wußte, wie ihm geschah, schob sich in die Diele. "Gella, begleitet ihn hinaus!" rief Korowjew. Schon wieder war die nackte Rothaarige in der Diele! Der Kantinenwirt quetschte sich zur Tür hinaus, piepste , Auf Wiedersehen" und ging wie betrunken. Eine Treppe tiefer blieb er stehen, setzte sich auf die Stufen, holte das Päckchen hervor und sah nach — die Zehnrubelscheine waren da.
Aus einer Wohnungstür trat eine Frau mit grüner Einholetasche. Als sie den Mann erblickte, der auf der Treppe saß und blöde die Zehnerscheine anstierte, schmunzelte sie und sagte nachdenklich:
"Was ist das bloß für ein Haus ... Auch der ist schon am Morgen besoffen ... Und wieder ist eine Fensterscheibe im Treppenhaus kaputt!" Sie betrachtete den Kantinenwirt aufmerksamer und fügte hinzu: "Ei, bei dir stapeln sich die Zehnerscheine ganz schön dick, Bürger! Willst du mir nicht etwas abgeben, hä?"
"Laß, um Christi willen!" rief der Kantinenwirt erschrocken und steckte geschwind das Geld weg. Die Frau lachte. "Geh zum Teufel, du Geizkragen! Ich hab doch bloß Spaß gemacht." Und sie stieg die Treppe hinunter. Der Kantinenwirt erhob sich schwerfällig, wollte seinen Hut zurechtrücken und merkte, daß er ihn vergessen hatte. Zwar war ihm der Gedanke gräßlich, nochmals dort hinzugehen, doch um den Hut tat es ihm leid. Nach einigem Zaudern stieg er wieder hinauf und läutete.
"Was wollt Ihr schon wieder?" fragte ihn die verfluchte Gella. "Ich hab meinen Hut vergessen", flüsterte der Kantinenwirt und zeigte auf seine Glatze. Gella drehte sich um. Der Kantinenwirt spuckte in Gedanken aus und schloß die Augen. Als er sie wieder öffnete, reichte ihm Gella seinen Hut und einen Degen mit dunklem Griff.
"Das ist nicht meiner", flüsterte der Kantinenwirt, schubste den Degen zurück und setzte rasch den Hut auf. "Seid Ihr etwa ohne Degen gekommen?" fragte Gella verwundert.
Der Kantinenwirt brummelte etwas und stieg rasch die Treppe hinunter. Auf dem Kopf hatte er ein unbehagliches Gefühl, es war ihm zu warm unterm Hut. Er nahm ihn ab, machte vor Schreck einen Luftsprung und schrie auf: in der Hand hielt er ein Samtbarett mit zerrupfter Hahnenfeder. Er bekreuzigte sich. In diesem Moment miaute das Barett, verwandelte sich in ein schwarzes Kätzchen und sprang zurück auf Andrej Fokitschs Glatze, wo es sich festkrallte. Der Kantinenwirt stieß einen verzweifelten Schrei aus und raste die Treppe
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