Der Meister und Margarita
einhergingen.
Währenddessen setzte sich das Spätzchen auf das Tintenfaß, ein Geschenk, entleerte sich darein (im Ernst!) und erhob sich in die Luft, wo es ein Weilchen schwebte, dann flog es mit Schwung gegen das Glas der Gruppenaufnahme, die sämtliche Universitäts-absolventen des Jahrganges 1894 zeigte, zerschlug es mit stählernem Schnabel und flog dann zum Fenster hinaus. Der Professor wählte eine andere Nummer, rief statt seines Freundes Bure die Blutegelstelle an, sägte, hier spreche Professor Kusmin und bitte, ihm sofort Blutegel ins Haus zu schicken. Dann legte er den Hörer auf, wandte sich wieder dem Schreibtisch zu und stieß ein Geheul aus.
Am Schreibtisch saß eine Frau mit Schwesternhäubchen, vor sich eine Tasche mit der Aufschrift "Blutegel". Der Professor heulte noch lauter, als er den Mund der Schwester sah: es war ein schiefer Männermund, breit bis zu den Ohren, und aus ihm ragte ein Eckzahn. Die Augen der Schwester blickten totenstarr. "Den Zaster nehm ich mit", knarrte die Schwester im Männerbaß, "der brauch hier nich rumliegen." Mit Vogelklauen scharrte sie die Etiketten zusammen und löste sich in Luft auf. Zwei Stunden vergingen. Professor Kusmin saß in seinem Bett, und an seinen Schläfen, hinter den Ohren und am Hals baumelten Blutegel. Zu seinen Füßen auf der Steppdecke saß Professor Bure mit seinem grauen Schnauz, blickte Kusmin mitfühlend an und versicherte ihm tröstend, daß das alles Quatsch sei. Draußen war schon Nacht.
Was in dieser Nacht in Moskau weiter an Wunderlichem geschah, wissen wir nicht und werden's auch nicht erforschen, zumal es an der Zeit ist, zum zweiten Teil dieser wahren Geschichte überzugehen. Mir nach, Leser!
Zweites Buch
19 Margarita
Mir nach, Leser! Wer hat dir gesagt, es gäbe auf Erden keine wahre, treue ewige Liebe? Man schneide dem Lügner seine gemeine Zunge ab!
Mir nach, mein Leser, und nur mir, ick zeige dir eine solche Liebe!
Nein! Der Meister irrte, als er in jener Stünde, da die Nacht ihren Höhepunkt überschritt, in der Klinik dem lieben Iwan so bitter sagte, sie habe ihn vergessen. Das konnte nicht sein. Sie hatte ihn selbstverständlich nicht vergessen. Lüften wir nun vor allem das. Geheimnis, das der Meister dem Iwan nicht hatte enthüllen wollen. Seine Geliebte hieß Margarita Nikolajewna. Alles, was er dem armen Poeten von ihrer zählt hatte, war pure Wahrheit. Er hatte seine Gefahrtin richtig beschrieben. Sie war schön und klug. Dem sei noch eines hinzugefügt: Mit Sicherheit hätten viele Frauen alles, aber auch alles hergegeben, um ihr Leben gegen das von Margarita Nikolajewna zu tauschen. Die kinderlose dreißigjährige Margarita war die Gattin eines sehr großen Spezialisten, der überdies eine wichtige Entdeckung von Staatsbedeutung gemacht hatte. Er war jung, schön, gütig, anständig und vergötterte seine Frau. Das Ehepaar bewohnte das Obergeschoß einer noblen Villa mit Garten in einer Seitengasse des Arbat. Ein entzückendes Plätzchen! Davon kann sich jedermann überzeugen, indem er den Garten aufsucht. Er wende sich an mich, ich gebe ihm die Adresse und zeige ihm den Weg; die Villa steht noch. Margarita Nikolajewna hatte keine Geldsorgen. Margarita Ni-kolajewna konnte sich alles kaufen, was ihr gefiel. Unter den Bekannten ihres Mannes waren interessante Leute. Margarita Nikolajewna hatte noch nie einen Primuskocher angerührt. Margarita Nikolajewna wußte nichts von den Schrecken einer Gemeinschaftswohnung. Kurzum, war sie glücklich? Keine Minute lang! Seit sie als Neunzehnjährige geheiratet und die Villa bezogen hatte, kannte sie kein Glück. O ihr Götter, ihr Götter! Was wollte denn diese Frau? Was wollte diese Frau, in deren Augen ständig ein rätselhaftes Flämmchen brannte? Was brauchte diese ganz leicht auf einem Auge schielende Hexe, die sich damals im Frühling mit gelben Mimosen geschmückt hatte? Ich weiß es nicht, ich habe keine Ahnung. Offenbar sagte sie die Wahrheit: sie brauchte ihn, den Meister, keineswegs aber die gotische Villa, den abgeschlossenen Garten, das Geld. Sie liebte ihn, sie sagte die Wahrheit. Selbst mir, dem getreuen, doch unbeteiligten Chronisten, verkrampft sich das Herz bei dem Gedanken, was Margarita für Qualen durchlitt, als sie am nächsten Tag in das Häuschen des Meisters kam, glücklicherweise ohne mit ihrem Mann gesprochen zu haben, denn dieser war nicht zur festgesetzten Zeit zurückgekehrt, und erfuhr, daß der Meister verschwunden war.
Sie tat alles, um
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