Der Meister und Margarita
auf die Zehnerscheine. "Was ist denn das?" fragte Kusmin und zwirbelte den Schnauz. "Nehmen Sie's nur, Bürger Professor", flüsterte der Kantinenwirt, "ich flehe Sie an, befreien Sie mich vom Krebs!" "Stecken Sie sofort Ihr Gold ein", sagte der Professor, stolz auf sich selbst. "Sie sollten lieber auf Ihre Nerven achten. Bringen Sie gleich morgen Urin zur Analyse, trinken Sie nicht zuviel Tee und essen Sie nur noch salzlos."
"Nicht mal die Suppe darf ich salzen?" fragte der Kantinenwirt.
"Gar nichts dürfen Sie salzen", befahl Kusmin. "So was!" rief der Kantinenwirt schwermütig, warf dem Professor einen gerührten Blick zu, steckte die Geldrolle ein und schob sich rückwärts zur Tür.
Der Professor hatte an diesem Abend nur wenige Patienten, mit Anbruch der Dämmerung ging der letzte. Der Professor zog den Kittel aus und blickte auf die Stelle, wo der Kantinenwirt die drei Zehnrubelscheine hingelegt hatte. Sie waren verschwunden, und statt ihrer lagen da drei Etiketten von "Abrau-Durso"-Flaschen.
"Verdammt, ist es denn die Möglichkeit!" murmelte Kusmin, dessen halb ausgezogener Kittel zu Boden hing, und befühlte die Aufkleber. "Der ist ja nicht nur schizophren, sondern auch ein Gauner! Ich verstehe bloß nicht, was wollte der eigentlich von mir? Doch nicht den Überweisungsschein für die Harnanalyse? Oho! Bestimmt hat er einen Mantel gestohlen!" Der Professor stürzte in die Diele, wobei er den Kittel am Ärmel mitschleifte. "Xenia Nikitischna!" schrie er durchdringend an der Wartezimmertür. "Sehen Sie mal nach, ob die Mäntel noch da sind." Die Mäntel waren noch da. Aber als der Professor zu seinem Schreibtisch zurückkehrte und endlich den Kittel ausgezogen hatte, blieb er plötzlich wie angewurzelt auf dem Parkett stehen und glotzte zum Schreibtisch. Da, wo die Etiketten gelegen hatten, saß ein verwaistes schwarzes Kätzchen mit unglücklichem Gesichtchen und miaute über einer Schale Milch.
"Da-das ist doch die Höhe, erlauben Sie, was soll denn das?" Kusmin lief es kalt über den Nacken.
Auf des Professors leisen und kläglichen Schrei eilte Xenia Niki-tischna herbei und beruhigte ihn völlig, indem sie ihm sagte, das Kätzchen habe sicherlich einer der Patienten ausgesetzt, was bei Professoren häufig vorkomme.
"Die leben bestimmt in armen Verhältnissen", erklärte Xenia Nikitischna, "bei uns dagegen ..."
Nun wurde überlegt und gerätselt, wer das Kätzchen ausgesetzt haben mochte. Der Verdacht fiel auf ein altes Weiblein mit einem Magengeschwür.
"Bestimmt war sie's", sagte Xenia Nikitischna, "sie denkt, sie muß sowieso sterben, und um das Kätzchen tut's ihr leid." "Aber erlauben Sie!" schrie Kusmin, "und die Milch? Hat sie die auch mitgebracht? "Und die Schale?"
"Die Milch hat sie wohl in einer Flasche mitgebracht und hier in die Schale gegossen", erläuterte Xenia Nikitischna. Jedenfalls schaffen Sie die Katze samt der Schale weg", sagte Kusmin und begleitete Xenia Nikitischma zur Tür. Als er zurückkehrte, hatte sich die Lage abermals geändert. Während der Professor den Kittel an den Nagel hängte, hörte er auf dem Hof ein Gelächter. Er spähte hinaus und traute seinen Augen nicht. Über den Hof zum Quergebäude lief eine Dame, die nichts als ein Hemd anhatte. Der Professor wußte sogar, wie sie hieß — Maria Alexandrowna. Das Gelächter kam von einem Bengel.
"Was soll denn das?" sagte Kusmin verächtlich. In diesem Moment hörte er nebenan im Zimmer seiner Tochter das Grammophon den Foxtrott "Halleluja" spielen, und gleich darauf ertönte hinter ihm ein Schilpen. Er drehte sich um und erblickte auf seinem Schreibtisch einen hüpfenden Sperling von beträchtlicher Größe.
Hm, ganz ruhig! dachte der Professor. Der ist reingeflogen, als ich vom Fenster zurücktrat. Alles in Ordnung! redete er sich selber zu und spürte dabei, daß keineswegs alles in Ordnung war, hauptsächlich wegen dieses Vogels. Als er genauer hinsah, merkte er, daß das durchaus kein gewöhnlicher Sperling war. Es war ein garstiger Spatz, der Theater spielte, auf dem linken Fuß lahmte, ihn nachschlappte und das in Synkopen, kurzum, er tanzte zu den Klängen des Grammophons einen Foxtrott wie ein Betrunkener an der Theke, benahm sich so flegelhaft wie möglich und äugte den Professor unverfroren an. Kusmin griff nach dem Telefon, er wollte seinen Studienfreund Bure anrufen, um ihn zu fragen, was derlei Spätzchen im Alter von sechzig Jahren zu bedeuten hätten, wenn sie mit Schwindelgefühl im Kopf
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