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Der Meister und Margarita

Titel: Der Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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ein virtuos gespielter rauschender Walzer herüber, und man hörte das Rattern eines Wagens vor der Einfahrt.
    "Gleich ruft Asasello an!" schrie Margarita und lauschte dem durch die Gasse perlenden Walzer. "Gleich ruft er an! Und der Ausländer ist ungefährlich, ja, jetzt weiß ich's, er ist ungefährlich!"
    Aufbrummend entfernte sich der Wagen vom Tor. Die Pforte klappte, und auf den Steinplatten des Weges ertönten Schritte. Das ist Nikolai Iwanowitsch, ich erkenn's an den Schritten, dachte Margarita. Ich muß zum Abschied noch einen Ulk veranstalten.
    Sie riß den Vorhang zur Seite, setzte sich seitlich aufs Fensterbrett und schlang die Hände ums Knie. Das Mondlicht beleckte ihre rechte Seite. Margarita hob den Kopf zum Mond und machte ein nachdenkliches und poetisches Gesicht. Noch zwei Schritte drunten, dann wurde es plötzlich still. Margarita betrachtete noch einen Moment den Mond und seufzte anstandshalber, dann wandte sie den Kopf dem Garten zu und erblickte tatsächlich Nikolai Iwanowitsch, den Bewohner des Erdgeschosses. Hell vom Mond beschienen, hockte er auf der Bank, auf die er ganz plötzlich niedergesunken sein mußte. Sein Zwicker saß schief, in den Händen preßte er die Aktentasche. "Ah, guten Abend, Nikolai Iwanowitsch", sagte Margarita mit trauriger Stimme. "Guten Abend! Hatten Sie Sitzung?" Nikolai Iwanowitsch gab keine Antwort.
    "Ich", fuhr Margarita fort und lehnte sich etwas hinaus, "ich sitze allein hier, wie Sie sehen, ich langweile mich, betrachte den Mond, lausche dem Walzer ..."
    Mit der Linken strich sich Margarita über die Schläfe, um eine Strähne zu glätten, dann sagte sie ärgerlich: "Das ist aber unhöflich, Nikolai Iwanowitsch! Schließlich bin ich eine Dame! Eine Frechheit, nicht zu antworten, wenn man angesprochen wird."
    Nikolai Iwanowitsch, bei dem im Mondschein jeder Knopf an der grauen Weste, jedes einzelne Haar im blonden Spitzbart zu erkennen war, zeigte plötzlich ein blödes Grinsen. Er erhob sich von der Bank, schwenkte, außer sich vor Verlegenheit, statt den Hut abzunehmen, die Aktentasche zur Seite und knickte die Beine ein, als wolle er einen Hopak tanzen. "Ach, was sind Sie doch langweilig, Nikolai Iwanowitsch!" fuhr Margarita fort. "Ihr hängt mir überhaupt alle derart zum Halse heraus, daß ich es gar nicht ausdrücken kann, und ich bin glücklich, daß ich euch loswerde! Verrecken sollt ihr!" In diesem Moment schrillte hinter Margarita im Schlafzimmer das Telefon. Sofort vergaß sie Nikolai Iwanowitsch, schnellte sich vom Fensterbrett und nahm den Hörer ab. "Hier Asasello", sagte es im Hörer. "Lieber, lieber Asasello", rief Margarita.
    "Es ist soweit. Fliegen Sie los", sprach Asasello in den Hörer, und seinem Ton war anzumerken, daß ihr ehrlich beglückter Ausruf ihn freute. "Wenn Sie übers Tor fliegen, rufen Sie laut ,unsichtbar'. Fliegen Sie erst ein Weilchen über die Stadt, um sich ein bißchen zu gewöhnen, dann nach Süden, weg von der Stadt, direkt zum Fluß. Sie werden erwartet!" Margarita hängte auf, und schon hörte sie aus dem Nebenzimmer ein hölzernes Hinken und ein Klopfen an der Tür. Sie öffnete, und der Stubenbesen kam, die Borsten vorneweg, tänzelnd ins Zimmer geflogen. Der Stiel trommelte einen Wirbel auf den Fußboden, dann legte sich der Besen hin und schlug zum Fenster hin aus. Margarita kreischte vor Begeisterung und sprang rittlings auf den Stiel. Erst jetzt durchblitzte sie der Gedanke, daß sie in all dem Durcheinänder vergessen hatte, sich anzuziehen.
    Sie galoppierte zum Bett, ergriff das erste, was ihr in die Hand fiel, ein blaues Hemdchen, schwenkte es wie eine Standarte und flog zum Fenster hinaus. Und der Walzer überm Garten dröhnte noch lauter.
    Vom Fenster glitt Margarita abwärts und erblickte Nikolai Iwanowitsch auf der Bank. Der war völlig erstarrt und horchte, wie vor den Kopf geschlagen, auf das Geschrei und Gepolter aus dem erleuchteten Schlafzimmer der oberen Mieter. "Adieu, Nikolai Iwanowitsch!" schrie Margarita und tänzelte vor ihm auf und ab.
    Nikolai Iwanowitsch stöhnte, kroch, Hand über Hand greifend, die Bank entlang und stieß dabei seine Aktentasche herunter.
    "Adieu für immer! Ich fliege weg!" überschrie Margarita den Walzer. Dann kam ihr zum Bewußtsein, daß sie das Hemd gar nicht mehr brauchte. Mit bösem Lachen warf sie es Nikolai Iwanowitsch über den Kopf. Geblendet stürzte er von der Bank und krachte auf den ziegelsteingepflasterten Gartenweg. Margarita drehte sich um, sie wollte

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