Der Meister und Margarita
herein, banden mich und führten mich ins Gefängnis."
Der Sekretär strichelte die Wörter aufs Pergament, bemüht, kein Wort zu verlieren.
"Auf der Welt gab es noch nie eine größere und für die Menschen bessere Macht, und es wird auch nie eine geben als die Macht des Kaisers Tiberius!" Die gebrochene und kranke Stimme des Pilatus schwoll an, und er blickte haßerfüllt auf den Sekretär und die Eskorte. "Nicht an dir, du hirnloser Verbrecher ist es, über sie zu rechten!" Dann schrie Pilatus: "Weg mit der Eskorte aus dem Säulengang!" An den Sekretär gewandt, fügte er hinzu: "Laßt mich mit dem Verbrecher allein, hier geht es um eine Staatssache!"
Die Eskorte hob die Lanzen, verließ mit rhythmisch stampfenden metallbeschlagenen Caligas den Säulengang und begab sich in den Garten, gefolgt vom Sekretär.
Das Schweigen unter den Säulen wurde eine Zeitlang nur vom Sang des Wassers im Springbrunnen unterbrochen. Pilatus sah, wie sich über dem Speier ein flüssiger Teller formte, dessen Ränder abbrachen und in Strahlen niederflossen. Als erster nahm der Gefangene das Wort:
"Ich sehe, es ist Leid daraus entstanden, daß ich mit diesem Jüngling aus Kirjath gesprochen habe. Mir schwant, Hegemon, daß ihm ein Unglück widerfahren wird, und er dauert mich sehr."
"Ich glaube", antwortete der Prokurator mit seltsamem Lächeln, "es gibt jemanden auf der Welt, der dich mehr dauern müßte als Judas aus Kirjath und dem weit Schlimmeres widerfahren wird als ihm! Du meinst also, Marcus Rattenschlächter, der kalte und überzeugte Henker, sodann die Menschen, die dich, wie ich sehe" — der Prokurator wies auf Jeschuas entstelltes Gesicht —, "deiner Predigten wegen mißhandelt haben, desgleichen die Verbrecher Dismas und Gestas, die mit ihren Spießgesellen vier Soldaten getötet haben, und endlich dieser schmutzige Verräter Judas — sie alle seien gute Menschen?" ,Ja", antwortete der Arrestant.
"Und das Reich der Wahrheit wird kommen?" "Es wird kommen, Hegemon", antwortete Jeschua zuversichtlich.
"Niemals!" schrie Pilatus plötzlich mit so furchtbarer Stimme, daß Jeschua zurückprallte. So hatte er vor vielen Jahren im Tal der Jungfrauen seinen Reitern zugeschrien: "Schlagt sie! Schlagt sie! Der Riese Rattenschlächter ist in Gefahr!" Noch lauter erhob er die vom Kommandieren brüchige Stimme und schrie so, daß man es im Garten hören konnte: "Du Verbrecher! Du Verbrecher! Du Verbrecher!"
Dann senkte er die Stimme: ,Jeschua Ha-Nozri, glaubst du an irgendwelche Götter?"
"Es gibt nur einen Gott", antwortete Jeschua, "an ihn glaube ich."
"So bete zu ihm! Bete fleißig! Übrigens ..." — die Stimme des Pilatus sank vollends herab —, "es wird nicht helfen. Hast du ein Weib?" fragte er schwermütig und begriff nicht, was mit ihm vorging.
"Nein, ich bin allein."
"Verhaßt ist mir die Stadt", murmelte, der Prokurator plötzlich, bewegte die Schultern, als fröre ihn, und rieb die Hände, als wolle er sie waschen. "Wärst du vor deiner Begegnung mit Judas aus Kirjath erstochen worden, so wäre das wahrlich besser."
"Lasse mich frei, Hegemon", bat der Arrestant unvermittelt, und seine Stimme klang beunruhigt, "ich sehe, daß man mich töten will."
Ein Krampf verzerrte das Gesicht des Pilatus, er wandte Jeschua die entzündeten, rotgeäderten Augäpfel zu und sagte: "Vermeinst du, Unseliger, ein römischer Prokurator werde einen Menschen freilassen, der gesagt hat, was du gesagt hast? O ihr Götter! Oder glaubst du, ich möchte deine Stelle einnehmen? Ich teile deine Gedanken nicht! Höre: Wenn du von diesem Moment an noch ein einziges Wort zu andern sagst, so nimm dich vor mir in acht! Ich wiederhole — nimm dich vor mir in acht!" "Hegemon ..."
"Schweig!" schrie Pilatus, und sein wütender Blick folgte der Schwalbe, die wieder durch die Säulenhalle schwirrte. "Zu mir!" rief er.
Nachdem der Sekretär und die Eskorte auf ihre Plätze zurückgekehrt waren, erklärte Pilatus, er bestätige das Todesurteil, das die Versammlung des Kleinen Synedrion wider den Verbrecher Jeschua Ha-Nozri verhängt habe, und der Sekretär hielt Pilatus' Worte fest.
Gleich darauf stand Marcus Rattenschlächter vor dem Prokurator. Der befahl ihm, den Verbrecher dem Kommandanten des Geheimdienstes zu überantworten und ihm auszurichten, der Prokurator habe angeordnet, daß Jeschua Ha-Nozri getrennt von den übrigen Verurteilten gehalten werde und daß den Mannschaften des Geheimdienstes bei schwerer Strafe verboten sei, mit
Weitere Kostenlose Bücher