Der Meister und Margarita
Gedanken fassen und träumst nur davon, daß dein Hund kommt, offenbar das einzige Wesen, an dem du hängst. Aber deine Qualen werden gleich beendet sein, dein Kopfweh wird vergehen."
Der Sekretär stockte mitten im Wort und glotzte den Gefangenen mit weit aufgerissenen Augen an.
Pilatus hob den Märtyrerblick zum Gefangenen und sah, daß die Sonne schon ziemlich hoch über der Rennbahn stand, ein Strahl in den Säulengang drang und auf die ausgetretenen Sandalen Jeschuas zukroch, der der Sonne auswich.
Da erhob sich der Prokurator von seinem Sessel, preßte den Kopf in die Hände, und sein glattrasiertes gelbliches Gesicht spiegelte Verstörtheit. Er bezwang sie jedoch mit Willenskraft und setzte sich wieder.
Der Arrestant fuhr indes zu sprechen fort, doch der Sekretär notierte nichts mehr, er reckte den Hals wie eine Gans und lauschte, damit ihm nur ja kein Wort entgehe. "Siehst du, es ist schon vorbei", sprach der Gefangene und blickte Pilatus wohlmeinend an. "Das freut mich sehr. Ich würde dir raten, Hegemon, für kurze Zeit den Palast zu verlassen und in der Umgebung spazierenzugehen, wenigstens in den Gärten auf dem Ölberg. Das Gewitter" — der Gefangene wandte sich um und blinzelte in die Sonne — "kommt später, erst gegen Abend. Ein Spaziergang täte dir gut, und ich würde dich mit Vergnügen begleiten. Mir sind neue Gedanken gekommen, die dich, so glaube ich, interessieren könnten, und ich würde sie dir gerne mitteilen, zumal du den Eindruck eines sehr gescheiten Menschen machst."
Der Sekretär wurde totenbleich und ließ die Pergamentrolle fallen. "Das Schlimme ist nur", fuhr der Gefesselte ungehindert fort, "daß du zu verschlossen bist und den Glauben an die Menschen verloren hast. Du mußt doch zugeben, daß es nicht angeht, alle Zuneigung einem Hund zu schenken. Dürftig ist dein Leben, Hegemon." Und hier erlaubte sich Jeschua ein Lächeln. Der Sekretär dachte nur noch darüber nach, ob er seinen Ohren trauen sollte oder nicht. Aber er mußte es wohl. Nun trachtete er, sich auszumalen, in welch sonderbarer Form die Wut des jähzornigen Prokurators angesichts dieser unerhörten Frechheit des Gefangenen ausbrechen würde. Und das vermochte er sich nicht vorzustellen, wiewohl er den Prokurator gut kannte. Da ertönte abgerissen, heiser die Stimme des Prokurators, der auf lateinisch sagte: "Man nehme ihm die Fesseln ab." Einer der Legionäre seiner Eskorte stieß die Lanze auf den Boden, übergab sie einem anderen, trat herzu und löste dem Arrestanten die Schnur. Der Sekretär hob die Rolle auf und beschloß, einstweilen nichts mehr zu notieren und sich über nichts mehr zu wundern.
"Gestehe", fragte Pilatus leise auf griechisch, "du bist ein großer Arzt?"
"Nein, Prokurator, ich bin kein Arzt", antwortete der Gefangene und rieb mit Genuß die gequetschten und rotgeschwollenen Handgelenke.
Unter gesenkten Brauen hervor durchbohrte Pilatus den Gefangenen mit schroffem Blick, der nicht mehr trüb war, sondern schon wieder die wohlbekannten Funken sprühte. "Ich habe dich noch nicht danach gefragt", sagte Pilatus, "aber kannst du vielleicht auch Latein?" ,Ja", antwortete der Arrestant.
Die gelblichen Wangen des Pilatus röteten sich ein wenig, und er fragte auf lateinisch:
"Woher weißt du, daß ich meinen Hund rufen wollte?" "Das ist ganz einfach", antwortete der Arrestant auf lateinisch. "Du führtest die Hand durch die Luft" — Jeschua wiederholte die Geste des Pilatus —, "als wolltest du ihn streicheln, und deine Lippen ..." ,Ja", sagte Pilatus.
Schweigen trat ein. Dann stellte Pilatus eine Frage in griechischer Sprache: "Du bist also Arzt?"
"Nein, nein", antwortete der Gefangene lebhaft, "glaub mir, ich bin kein Arzt."
"Nun gut, wenn du das geheimhalten willst, so tue es. Es hat mit deinem Fall nichts zu tun. Du behauptest also, du hättest niemanden angestiftet, den Tempel zu zerbrechen, niederzubrennen oder auf noch andere Art zu zerstören?" "Ich, Hegemon, habe niemanden zu solchem Tun aufgewiegelt, ich wiederhole es. Sehe ich wohl wie ein Schwachsinniger aus?" "O nein, wie ein Schwachsinniger -siehst du nicht aus", antwortete der Prokurator leise und ließ ein schreckliches Lächeln sehen. "So schwöre, daß es nicht stimmt." "Wobei soll ich schwören?" fragte der Gefangene lebhaft. "Meinetwegen bei deinem Leben", antwortete der Prokurator, "bei ihm zu schwören ist höchste Zeit, denn wisse, es hängt an einem Haar."
"Du vermeinst doch nicht, daß du es dort aufgehängt
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