Der Meister und Margarita
er im Diskant gesagt, das "wünschen" im Baß, und das "Sie" war ihm vollends mißraten.
Der Unbekannte lächelte freundlich, holte eine große goldene Uhr mit einem Brillantendreieck auf dem Deckel hervor, ließ sie repetieren — sie schlug elfmal — und sagte:
"Elf. Genau seit einer Stunde warte ich, daß Sie erwacheny denn Sie haben mich für zehn Uhr herbestellt. Da bin ich!"
Stjopa tastete nach der Hose auf dem Stuhl neben dem,Bett und flüsterte:
"Entschuldigen Sie ..." Er zog sie an und fragte heiser: "Würden Sie mir bitte Ihren Namen sagen?"
Das Sprechen fiel ihm schwer. Bei jedem Wort bohrte sich eine Nadel in sein Gehirn und bereitete ihm höllischen Schmerz. "Wie, Sie haben meinen Namen vergessen?" erwiderte der Unbekannte lächelnd.
"Verzeihen Sie", krächzte Stjopa und spürte, daß sein Kater ihm ein neues Symptom bescherte: Ihn dünkte, daß der Fußboden neben dem Bett wegkippte und er jetzt gleich kopfüber zu des Teufels Großmutter in die Hölle stürzen werde. "Lieber Stepan Bogdanowitsch", sagte der Besucher und lächelte verständnisinnig. "Pyramidon hilft Ihnen nicht. Folgen Sie einer alten weisen Regel und kurieren Sie Gleiches mit Gleichem. Das einzige, was Ihnen das Leben wiedergibt, sind zwei Gläser Wodka mit einer scharfgewürzten warmen Zuspeise." Der gewitzte Stjopa, so angeschlagen er war, wußte doch, daß er, war er schon in solchem Zustand angetroffen worden, alles zugeben mußte.
"Ehrlich gesagt", begann er und konnte kaum die Zunge bewegen, "ich hab gestern ein bißchen ..."
"Kein Wort mehr!" antwortete der Besucher und rückte mit dem Sessel zur Seite.
Stjopa gingen die Augen über, als er auf dem kleinen Tisch ein Frühstückstablett erblickte, wo geschnittenes Weißbrot, ein Gläschen Preßkaviar, ein Teller marinierte Steinpilze, eine kleine Kasserolle und endlich die stattliche Juwelierswitwenkaraffe mit Wodka aufgetragen waren. Besonders beeindruckte ihn, daß die Karaffe vor Kälte beschlagen war. Das leuchtete jedoch ein, denn sie stand in der eisgefüllten Spülschüssel. Kurzum, es war ein appetitliches, kunstvoll zusammengestelltes Katerfrühstück.
Der Unbekannte ließ Stjopas Verwunderung nicht bis zu krankhafter Größe gedeihen, sondern goß ihm geschickt ein Glas halbvoll Wodka.
"Und Sie?" piepste Stjopa.
"Mit Vergnügen!"
Stjopas zittrige Hand führte das Glas zum Munde, und auch der Unbekannte leerte das seine in einem Zug. Stjopa kaute einen Happen Kaviar nach und quetschte hervor: "Und Sie, wollen Sie nicht ... nachessen?" "Vielen Dank, ich esse nie nach", antwortete der Unbekannte und goß beide Gläser wieder voll. Dann wurde die Kasserolle geöffnet, die Würstchen in Tomate enthielt. Nun endlich zerfloß das verfluchte Grün vor den Augen, es sprach sich leichter, und die Hauptsache, Stjopa konnte sich an manches wieder erinnern. Er wußte, daß sich die Sache gestern in Schodnja abgespielt hatte, in der Datsche des Sketchisten Chustow, wohin sie beide im Taxi gefahren waren. Er wußte sogar, daß sie das Taxi vor dem "Metropol" bestiegen hatten und daß noch ein Schauspieler — oder war er kein Schauspieler? — mit einem Koffergrammophon "dabeigewesen war. Ja, ja, ja, in der Datsche war es gewesen! Außerdem fiel ihm ein, daß zur Grammophonmusik Hunde geheult hatten. Nur die Dame, die er hatte küssen wollen, blieb im Dunkel . . . Weiß der Teufel, wer sie war, vom Funk wohl, vielleicht aber auch nicht... Allmählich hellte sich der gestrige Tag auf, doch noch mehr "beschäftigte Stjopa jetzt der heutige Tag und insbesondere das Auftauchen dieses Unbekannten im Schlafzimmer samt Wodka und Zuspeise. Das aufzuklären wäre nicht schlecht! "Na, ist Ihnen mein Name wieder eingefallen?" Stjopa lächelte nur verschämt und breitete die Arme aus. "Aber, aber! Ich ahne, daß Sie gestern nach dem Wodka Portwein getrunken haben. ich bitte Sie, wie kann man so etwas machen!"
"Ich möchte, daß das unter uns bleibt", bettelte Stjopa. "Oh, natürlich, natürlich! Aber für Chustow kann ich selbstverständlich nicht bürgen." "Kennen Sie ihn denn?"
"Gestern in Ihrem Arbeitszimmer habe ich dieses Individuum nur kurz gesehen, aber der flüchtige Blick auf sein Gesicht genügt mir, um zu erkennen, daß er ein Lump ist, ein Stänker, Konjunkturritter und Speichellecker."
Haargenau! dachte Stjopa, den diese kurze und treffende Charakterisierung Chustows verdutzte.
Ja, aus lauter kleinen Stücken fügte sich der gestrige Abend zusammen, aber eine
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